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75 Jahre ifo Institut und 25 Jahre CESifo
75 Jahre ifo – 25 Jahre CESifo – zusammen 100 Jahre Erkenntnis: wissenschaftlich fundiert, die Politik nachhaltig beeinflussend, für Generationen prägend. Wir möchten Sie dazu einladen, 75 Jahre ökonomische Forschung und Politikberatung zu entdecken. Unter dem Motto „75 Jahre ifo – 75 Geschichten“ werfen wir im Laufe des Jubiläumsjahres Schlaglichter auf wichtige Ereignisse und beleuchten die Geschichte, die Gegenwart und die Zukunft von ifo Institut und CESifo. Wir lassen Menschen zu Wort kommen, wir erkunden Orte und wir begeben uns auf die Suche nach Meilensteinen der (wirtschafts-)politischen Entwicklung, die das Institut über die Jahre begleitet hat.
Eines der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Europa
Das ifo Institut ist kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aus einer Fusion zweier Institute hervorgegangen: der Informations- und Forschungsstelle für Wirtschaftsbeobachtung und dem Süddeutschen Institut für Wirtschaftsforschung, das Ludwig Erhard 1946 gegründet hatte. Heute steht es für exzellente wirtschaftswissenschaftliche Forschung und Politikberatung mit internationaler Ausstrahlung. „Unsere Forschung ist die Basis, um Politik, Unternehmen und Öffentlichkeit verlässliche Analysen und Daten für informierte Entscheidungen zur Verfügung zu stellen“, erklärt ifo Präsident Clemens Fuest zum Startschuss des Jubiläumsjahrs 2024. „Unsere Geschichte begann mit der Konjunkturbeobachtung über eigene Befragungen. Heute erschließen wir z.B. neue Datenquellen – Big Data – um ökonomische Entwicklungen schneller analysieren und interpretieren zu können.“
Im Gründungsteam: Helmut Schlesinger und Karl-Otto Pöhl
Wie alles begann: Am 1. März 1949 nahmen sechs Vollzeitangestellte und 20 Teilzeitangestellte ihre Arbeit auf. Zu den frühen Mitarbeitern zählten die späteren Bundesbank-Präsidenten Helmut Schlesinger und Karl-Otto Pöhl. Der heutige Name ifo steht für „Information und Forschung“ und wurde dem Namen erst 1950 hinzugefügt. Bereits Im Herbst 1949 starteten die Unternehmensbefragungen als innovative Methode der Wirtschafts- und Konjunkturbeobachtung. Sie sollten über die Jahre zum wichtigsten Informationsangebot und Markenzeichen des Instituts werden: Noch heute sind sie die Basis für das monatlich veröffentlichte ifo Geschäftsklima, einen weltweit beachteten Indikator zur konjunkturellen Entwicklung Deutschlands.
Die ifo Familie wächst
Seit 1993 gibt es die Niederlassung Dresden, die sich seit der Wiedervereinigung mit den strukturpolitischen Belangen der neuen Bundesländer, insbesondere des Freistaates Sachsen auseinandersetzt. 1999 gründete der ehemalige ifo Präsident Hans-Werner Sinn die CESifo GmbH, ein Netzwerk von heute über 2000 Ökonom*innen weltweit, darunter mehrere Nobelpreisträger*innen. Seit 2002 ist das ifo außerdem ein „an“ Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2022 eröffnete das Ludwig Erhard ifo Zentrum für Soziale Marktwirtschaft und Institutionenökonomik in Fürth. 2023 modernisierte das ifo Institut im Zuge des neuen Schwerpunktes Big Data Economics das LMU-ifo Economics Business Data Center (EBDC). Es ist ein akkreditiertes Forschungsdatenzentrum und eine zentrale forschungsorientierte Querschnittseinheit für alle ifo Zentren, ihre Forschungspartner und externe Gastforscher*innen.
„Shaping the Economic Debate“
Neben der Konjunktur beschäftigen sich die neun Forschungsbereiche des Instituts heute mit aktuellen Themen wie Klimawandel, Geoökonomik, neuen Technologien oder Ungleichheit. Die gewonnenen Erkenntnisse ziehen weite Kreise: Sie werden zum einen in der Fachcommunity diskutiert und in erstklassigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen publiziert. Um Forschung auf einem exzellenten Niveau betreiben zu können, fördern wir unseren wissenschaftlichen Nachwuchs sehr intensiv. Zum anderen bereiten wir die Erkenntnisse für die öffentliche Debatte auf. Unter anderem über Berichterstattung in den Medien bieten ifo Analysen wichtige Informationen für interessierte Bürger*innen, Vertreter*innen von Unternehmen und Verbänden. Auch Vertreter*innen aus der Politik suchen den Rat des ifo Instituts, wenn Entscheidungen von bedeutender Tragweite anstehen.
Anfänge
Ausblicke
Adolf Weber: Wegbereiter des ifo Instituts
Er genoss hohes Ansehen in der Wissenschaft genauso wie bei Unternehmer*innen und Politiker*innen: Adolf Weber zählt zu den einflussreichsten deutschen Nationalökonomen des 20. Jahrhunderts und war eine der führenden Persönlichkeiten nicht nur der Staatswirtschaftlichen Fakultät, sondern der Universität München insgesamt. 1999 beschloss der ifo-Vorstand, das Bürogebäude in der Poschingerstraße 5 nach ihm zu benennen.
Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre
Weber wurde 1876 in Mechernich in der Eifel geboren. 1897 legte er in Bonn das Abitur ab, anschließend studierte er dort Rechts- und Staatswissenschaften. Im Jahre 1900 promovierte er in Freiburg im Breisgau. Sein größtes wissenschaftliches Interesse galt jedoch der Volkswirtschaftslehre. Schon zwei Jahre später promovierte Weber auch in diesem Fach an der Universität Bonn. Die erste akademische Berufung führte ihn an die Handelshochschule in Köln (1908). Dort übernahm er bald auch die Leitung der Hochschule für soziale und kommunale Verwaltung.
Eindrucksvolle Professorenkarriere: Von der Oder an die Isar
Adolf Webers Stationen als Professor führten vom heute polnischen Breslau (1914-1919) über Frankfurt am Main (1919-1921) an die Universität München. Dort war er von 1921 bis 1948 Inhaber des Lehrstuhls für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft. Er verfasste mehrere Lehrbücher, etwa zur Allgemeinen Volkswirtschaftslehre oder zur Handels- und Verkehrspolitik, die hohe Auflagen erreichten. In seiner wissenschaftlichen Arbeit widmete sich Weber einem breiten Spektrum wirtschafts- und ordnungspolitischer Themen: Sozialpolitik, Bankwesen, Bodenreform, Wohnungswesen und Außenhandelspolitik. Adolf Weber verstarb am 5. Januar 1963 in der bayerischen Landeshauptstadt.
Strategien zum Wiederaufbau der Wirtschaft nach Kriegsende
Während des Zweiten Weltkriegs setzte sich Weber kritisch mit der sowjetischen Planwirtschaft und der nationalsozialistischen Befehlswirtschaft auseinander.
Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs führte er in der „Volkswirtschaftlichen Arbeitsgemeinschaft für Bayern" in München leitende Personen der Wissenschaft und Praxis zusammen. Ziel dieses Kreises war die Bündelung ökonomischer Expertise für den Wiederaufbau. Nach dem Ende seiner Amtszeit als bayerischer Wirtschaftsminister arbeitete Ludwig Erhard in dieser Arbeitsgemeinschaft intensiv mit Adolf Weber zusammen. Sie entwickelten die Grundlagen für die angewandte politisch orientierte Wirtschaftsforschung in München, auf denen sich das ifo Institut ab 1949 erfolgreich entwickeln konnte.
Um die parteipolitische Unabhängigkeit der Arbeitsgemeinschaft deutlich zu machen, war sie dem von Adolf Weber geleiteten Staatswirtschaftlichen Seminar der Universität München angegliedert worden. Ihre Aktivitäten brachten zahlreiche wirtschaftswissenschaftliche und wirtschaftspolitische Publikationen hervor. Weber selbst veröffentlichte im Jahr 1945 die Denkschrift „Übergangswirtschaft und Geldordnung" sowie im Jahr 1946 einen weiteren Essay mit dem Titel „Wohin steuert die Wirtschaft?" Dank seiner außergewöhnlichen Fachkompetenz gehörte er zu den einflussreichsten wissenschaftlichen Beratern der bizonalen Wirtschaftsverwaltung, die für die britische und die US-amerikanische Besatzungszonen zuständig war.
Durchwegs liberal: Die Münchner nationalökonomische Schule
Adolf Weber war nicht nur ein bedeutender Wissenschaftler, sondern auch ein charismatischer Pädagoge und gilt als Gründer einer Münchner Schule der Nationalökonomie. Wie viele andere Ökonom*innen seiner Generation war er im wirtschaftlichen Liberalismus der Kaiserzeit verwurzelt. Als Vertreter einer „dynamischen Konjunkturtheorie“ erklärte er Krisen nicht einfach mit den Gesetzmäßigkeiten des zyklischen Konjunkturverlaufs, sondern als Effekt von Überinvestitionen im Verhältnis zur gesamtwirtschaftlichen Ersparnis. Anders als bei der relativ konstanten Konsumgüterproduktion führten Unregelmäßigkeiten in der Produktion von Investitionsgütern zu Krisen. Aufgabe der Wirtschaftspolitik sei es, die Kapitalbildung der Unternehmen langfristig zu sichern. Er plädierte für eine Kapitalbildung durch reale Ersparnisse statt durch übermäßige Kreditaufnahme.
Menschen
Alfred von Heymel: Verleger. Kunstmäzen. Lebemann.
München 1909: Was macht ein ausgewiesener Bonvivant, der durch ein Erbe zu sagenhaftem Reichtum gekommen ist? Er kauft für 96.000 Mark ein exklusives 4.400 Quadratmeter großes Grundstück im Herzogpark und lässt sich vom in München sehr gefragten Architekten Karl Stöhr ein prunkvolles Wohnhaus im neoklassizistischen Stil errichten – für noch einmal 180.000 Mark. Das eindrucksvolle Bauwerk in der Poschingerstraße 5, das 1910 fertiggestellt wurde, ist heute Sitz des ifo Instituts. Sein erster Eigentümer war eine schillernde Persönlichkeit: Alfred Walter von Heymel.
„Schöne Frauen, schöne Pferde, schöne Blumen ...
... englische Bücher in schmiegsamen Lederbänden, viel gutes Essen und Trinken und viele mehr oder weniger gute Freunde im Schlepptau, so vergingen den jungen Bremern Tage und Nächte.“ Auf diese Weise beschrieb Schriftsteller Rolf von Hoerschelmann den Lebensstil von Alfred von Heymel und von dessen Vetter Rudolf Alexander Schröder, die beide aus Bremen stammten.
"Die Insel" – eine der wichtigsten Zeitschriften der literarischen Moderne in Deutschland
Heymels bedeutendstes mäzenatisches Engagement war die Literaturzeitschrift "Die Insel", die er gemeinsam mit Rudolf Alexander Schröder im Jahr 1899 gründete. Beiträger waren literarische Größen wie Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke und Robert Walser und die Illustrationen stammten von keinem Geringeren als Heinrich Vogeler.
Rolf von Hoerschelmann über "Die Insel": „Dabei wurden moderne Gedichte, literarische Leckerbissen aus allen Zeiten und Ländern, geistreiche Essays auf schweres Blütenpapier gedruckt, in köstlicher Ausstattung gebunden, denn auch ein Buchverlag wurde der Zeitschrift angegliedert“. Bei diesem Buchverlag handelt es sich um den 1901 ebenfalls von Alfred von Heymel und Rudolf Alexander Schröder gegründeten Insel Verlag, der bis heute besteht. Im Gegensatz zur Zeitschrift, die 1902 nach drei Jahren eingestellt wurde. Es hatten sich einfach zu wenig Käufer gefunden und auch für den reichen Mäzen Heymel wurden die enormen Ausgaben untragbar.
Das Ende einer Zeitschrift. Der Anfang eines dramatischen Lebenswegs
Im Jahr 1904 heiratete von Heymel die Münchnerin Gitta von Kühlmann, "eine blonde aristokratische Schönheit ..." (von Hoerschelmann). 1910 bezog das Paar die neue Villa in der Poschingerstraße 5, doch die Ehe scheiterte. Um Distanz zu seiner Scheidung zu gewinnen, unternahm von Heymel ausgedehnte Reisen nach Afrika und zog schließlich im Jahr 1912 nach Berlin, wo der an Tuberkulose Erkrankte zwei Jahre später verstarb.
Ab den 1920er Jahren residierten in der Villa Heymel unter anderem die Konsulate des damaligen Königreichs Siam und von Argentinien. 1952 bezogen die ersten Mitarbeitenden des ifo das imposante Bauwerk. Wer einmal durch Bogenhausen spaziert, kann es aus nächster Nähe betrachten.
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Menschen
Ortsgeschichte
Als der Euro ins Wanken geriet: die Eurokrise ab 2010
Im Frühjahr 2010 spitzte sich die Lage dramatisch zu: Griechenland konnte das Ausmaß seines bis dahin verschleierten Haushaltsdefizits und seines Schuldenstands nicht mehr verheimlichen. Der Fehlbetrag im Staatshaushalt war viermal so groß wie zuvor angegeben. Die Zinssätze für griechische Staatsanleihen waren auf dem Kapitalmarkt unbezahlbar geworden. Griechenland musste am 23. April 2010 Finanzhilfen beantragen, um eine Staatsinsolvenz abzuwenden. Für die internationalen Geldgeber ein Grund zur Flucht. Es kam zu massiven Schwierigkeiten auch für andere Länder des Euroraums.
Wie schlitterte Griechenland in die Krise?
Die Eurokrise von 2010 eskalierte als Folge der weltweiten Finanzkrise, die 2007 durch das Platzen der Immobilienblase in den USA ausgelöst und durch den Konkurs wichtiger Banken zusätzlich verschärft wurde. Ein Teil der regelmäßigen Staatseinnahmen Griechenlands gingen verloren. Bei einer Überprüfung stellte sich heraus, dass die griechische Defizitquote beinahe 16%, die Höhe der Schulden ca. 130% des Bruttoinlandsprodukts betrugen. Dies überstieg die im Maastrichter Vertrag und im Stabilitätspakt ausgemachten Grenzen (3% Defizit und 60% Schulden) um ein Vielfaches. Die Einstufung Griechenlands durch internationale Ratingagenturen verschlechterte sich dramatisch, der Zinssatz für griechische Staatsanleihen stieg von 8,02% im Jahr 2010 auf 25,17% im Jahr 2011.
Andere Länder geraten in Schieflage
Diese Turbulenzen führten zu einem massiven Abzug von Kapital und auch in anderen Euroländern zur Krise. Länder wie Irland und Spanien, die hart durch die Immobilienkrise getroffen wurden, in deren Folge es zu einer Schulden- und Bankenkrise kam, gerieten ebenfalls an den Rand einer Staatspleite. Das irische BIP sank 2009 um 7%, die Arbeitslosigkeit wuchs 2010 auf 14%. Auf der einen Seite fehlten wichtige Staatseinnahmen, auf der anderen Seite mussten enorme Summen für die Bankenrettung aufgewendet werden. Diese nationalen Rettungsaktionen beliefen sich auf ca. 35% des irischen Bruttoinlandsprodukts, die Schuldenstandsquote explodierte von nur 25% (2007) auf fast 100% (2010). Auch In Spanien verringerte sich 2009 die Wirtschaftsleistung um fast 4%, 2010 betrug die Arbeitslosigkeit schon 20%.
Der Rettungsschirm wird aufgespannt
Zur Unterstützung der instabilen Staaten intensivierten die EU und die Europäische Zentralbank ihre Zusammenarbeit. Gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) spannten sie den „Euro-Rettungsschirm" auf. Er genehmigte Kredite nur noch unter der Voraussetzung einer rigorosen Sparpolitik. Eine weitere EU-weite Maßnahme war das Europäische Semester, das EU-Kommission und EU-Ministerrat die Möglichkeit verschaffte, in den ersten sechs Monaten jeden Jahres die nationalen Budgetentwürfe zu begutachten und gegebenenfalls Änderungen anzumahnen. Außerdem verpflichtete der Fiskalpakt von 2012 zu einer strengen Haushaltspolitik und zur Einführung einer Schuldenbremse. Bundeskanzlerin Angela Merkel befürwortete diese strengen Maßnahmen, die Wiederherstellung wirtschaftlicher Stabilität erfodere in den Krisenstaaten eine konsequente Sparpolitik. Nur wer eine strikte Haushaltspolitik verfolgte, bekam Zugang zu den Mitteln des Euro-Rettungsschirmes.
„Atmende Währungsunion“ als Ausweg?
Hans-Werner Sinn, bis 2016 Präsident des ifo Instituts, begleitete aktiv die Diskussion. Erstmals nahm er in einer Sonderausgabe des Schnelldienstes im November 2010 Stellung. 2015 fasste er in seinem Buch „Der Euro. Von der Friedensidee zum Zankapfel“ die jahrelange Diskussion zusammen. Sein Fazit: Den Partnern der Währungsunion müsse die Möglichkeit genommen werden, bei einer Schieflage im Staatshaushalt risikoreiche Investitionen mit fremdem Geld in dem Bewusstsein zu tätigen, dass mögliche Verluste durch die Gemeinschaft abgefangen werden würden. Um die Krise zu überwinden, sei ein konsequenter Schuldenschnitt für die Krisenländer notwendig. Die mit diesem Schnitt entlasteten Länder müssten dann für eine Übergangszeit die Währungsunion verlassen. Nur so könne ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt werden. In einer solchen „atmenden Währungsunion“ wäre es nicht ungewöhnlich, dass Länder immer wieder ein- und austreten.
Mit 5 Punkten aus der Krise
Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts seit 2017, veröffentlichte gemeinsam mit Johannes Becker im Jahr seines Amtseintritts den Band „Der Odysseus-Komplex. Ein pragmatischer Vorschlag zur Lösung der Eurokrise“. Das Fazit der Autoren: Wie Odysseus, der sich an den Mast seines Schiffes fesseln lässt, um dem Gesang der Sirenen zu widerstehen, müssten sich auch die Eurostaaten an feste Regeln binden, um der Verführung durch Neuverschuldung, Reformaufschub und laxe Regulierungen zu entkommen. Ihr Vorschlag ist ein „Fünf-Punkte-Programm für eine stabile Eurozone“ mit Reformvorschlägen für eine Bankenregulierung auf EU-Ebene, wirkungsvolle Maßnahmen zur Schuldenkontrolle, einer Neuausrichtung der Europäischen Rettungsmaßnahmen, der Erklärung von Maßnahmen für den Fall, dass ein Land innerhalb einer Frist nicht auf den Kapitalmarkt zurückkehren kann, und schließlich einem klaren Verbot der Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank sowie einer Definition des Mandats der EZB. Oberstes Ziel ist bei all diesen Maßnahmen die Stärkung der nationalstaatlichen Verantwortlichkeit für die eigene Wirtschaftspolitik.
Meilenstein
Aufschwung. Boom. Krise: Der ifo Geschäftsklimaindex
Der monatliche ifo Geschäftsklimaindex ist für Entscheidungsträger*innen in Wirtschaft, Politik und Finanzbranche unverzichtbar. Wie entstand beim ifo Institut die Idee, das Geschäftsklima zu ermitteln? Warum finden diese Zahlen auch außerhalb der Wirtschaft so viel Beachtung?
Eine Pionierleistung des ifo Instituts
Informationen über die aktuelle Situation der deutschen Wirtschaft durch Befragung von Unternehmenslenkern zu gewinnen: Diese Idee verfolgte bereits 1948 die „Informations- und Forschungsstelle für Wirtschaftsbeobachtung“ des Bayerischen Statistischen Landesamts, die ein Jahr später in das ifo Institut aufgehen sollte. Nach der Währungsreform 1948 hatten sich die Rahmenbedingungen für die deutsche Wirtschaft grundlegend verändert, verlässliche Zahlen waren rar und dynamische Indikatoren als Ergänzungen zu den Statistiken dringend gefragt. Diese im direkten Kontakt mit Unternehmern zu gewinnen, war damals eine absolute Innovation für die empirische Wirtschaftsforschung in Europa. Nach der Gründung im Jahr 1949 übernahm das ifo diese Form der direkten Befragung und entwickelte die Fragebögen weiter. Gefragt wurde ganz gezielt nach der Einschätzung der Entwicklung des eigenen Unternehmens und hier nicht nach konkreten Unternehmensdaten, sondern nach einer qualitativen Beurteilung – bis heute ein entscheidendes Merkmal der ifo Unternehmensbefragungen.
In den 1960er Jahren konzentrierte sich die Analyse des umfangreichen Fragebogens immer stärker auf die Indikatoren des Geschäftsklimas. Dabei kombinierten die ifo-Experten die Einschätzungen der gegenwärtigen Unternehmenslage mit denen zur Geschäftserwartung für die nächsten sechs Monate, bis heute das Alleinstellungsmerkmal des ifo Geschäftsklimaindex. Ein großer Vorteil dieser Methode: Sie lässt frühzeitig Anzeichen für Wendepunkte in den konjunkturellen Phasen erkennen.
Im März 1971 veröffentlichte das ifo sein „Geschäftsklima Verarbeitende Industrie“ erstmals an versteckter Stelle im ifo Schnelldienst. Damals ahnte niemand, welche Bedeutung dieser Frühindikator später für die öffentliche Wahrnehmung des Instituts erlangen sollte.
Vier Sektoren, Lage und Erwartungen
Für den ifo Geschäftsklimaindex werden etwa 9 000 Fragebögen ausgewertet – mit Antworten aus Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes, des Bauhauptgewerbes, des Groß- und Einzelhandels sowie des Dienstleistungssektors.
Aus diesen gesammelten Daten werden nun die Differenzwerte ermittelt. Bei der gegenwärtigen Geschäftslage wird die Differenz zwischen den Antworten „gut“ und „schlecht“ errechnet, bei den Erwartungen geht es um die Differenz der Antworten „günstiger“ und „ungünstiger“. Die jeweiligen Mittelpositionen – also „befriedigend“ bei der aktuellen Geschäftslage und „gleich bleibend“ bei den Erwartungen – werden als neutral eingestuft und nicht in die Bewertung mit einbezogen. Der ifo Geschäftsklimaindex ergibt sich schließlich als Mittelwert aus den Salden der Geschäftslage und der Erwartungen.
Ein Rechenbeispiel
Von den befragten Unternehmen schätzen in diesem Beispiel 40% ihre Lage als befriedigend ein, 35% als gut und 25% als schlecht. Der Anteil der Befragten (40%), der die Lage als befriedigend bezeichnet, wird nicht in die Berechnung mit einbezogen. Zur Ermittlung der gegenwärtigen Geschäftslage wird nun die Differenz ermittelt zwischen 35% („gut“) und 25% („schlecht“) – daraus ergibt sich der Wert „10“. Genauso wird der Wert für die Erwartungen für die nächsten sechs Monate festgestellt. Aus dem Wert für die aktuelle Lage und dem Wert für die Erwartungen wird als Mittelwert jeden Monat der ifo Geschäftsklimaindex berechnet.
Der ifo Geschäftsklimaindex kann zwischen zwei Extremwerten schwanken. Bei einem Wert von „-100“ würden 100 % der Befragten die gegenwärtige Lage schlecht einschätzen sowie eine Verschlechterung der Entwicklung erwarten, bei einem Wert von „+100“ würden 100% der Befragten die gegenwärtige Lage gut einschätzen sowie eine Verbesserung der Entwicklung erwarten.
Strenges Protokoll bei der Veröffentlichung
Der ifo Geschäftsklimaindex gehört zu den meist beachteten Indikatoren für die Einschätzung der deutschen Wirtschaft, er kann an den Finanzmärkten Kursreaktionen auslösen. Deshalb folgen Berechnung und Veröffentlichung einem strengen Protokoll:
7:00h: Die Berechnung erfolgt in der Nacht vor der Veröffentlichung. Die Ergebnisse werden dem Leiter der Befragungen automatisch zugesandt.
8:00h: Dieser analysiert die Werte und berücksichtigt dabei auch Teilergebnisse (etwa die Entwicklung in der Autoindustrie), die für die Interpretation des Gesamtergebnisses oft wichtig sind. Anschließend verfasst er einen Entwurf der Pressemitteilung.
8:45h: Ein exklusiver Kreis bespricht den Wortlaut der Pressemitteilung auf Deutsch und Englisch: der ifo-Präsident, der Leiter Konjunkturprognosen, der Leiter Befragungen, die Leiterin Kommunikation, der Pressesprecher sowie ein*e Übersetzer*in.
10:00h: Der Pressesprecher verliest die Pressemitteilung in einer Videokonferenz, kurz darauf wird sie auf Deutsch, Englisch und Französisch versandt. Zugeschaltet sind nur bei der Europäischen Zentralbank akkreditierte Nachrichtenagenturen.
10:30h: Der Index wird auf der ifo-Website veröffentlicht.
Verlässlicher Pulsmesser der Konjunktur
Warum findet der Geschäftsklimaindex des ifo so viel Beachtung? Seine Ergebnisse stimmen in hohem Maße mit der realen Konjunkturentwicklung überein. Deshalb ist er eine solide Basis für Entscheidungen in Unternehmen, Politik und Finanzwirtschaft. Er ist aktueller als andere offiziellen Indikatoren. So veröffentlicht etwa das Statistische Bundesamt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur einmal im Quartal.
Die Motivation teilzunehmen ist für Unternehmen hoch: Die Unternehmen geben wertvolle Auskünfte – und haben ihrerseits exklusiven Zugang zu detaillierten Informationen, die sie an keiner anderen Stelle finden könnten. Diese Konstellation ist entscheidend für den Erfolg dieser wichtigsten Serviceleistung des ifo Instituts.
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Veröffentlichung
Aus der Traum: Als die Dotcom-Blase platzte
Auf dem Aktienmarkt herrscht 1999 Euphorie: Der Nemax 50 wird zum ersten Mal an der Frankfurter Börse notiert als Index des sogenannten Neuen Markts. Der neue Markt hatte eine große Anziehungskraft. Der Traum vom schnellen Geld lockte viele Anleger. Sie hofften, das eigene Vermögen durch Kursgewinne über Nacht zu vermehren. Die Phantasie der Börsianer wurde beflügelt von den technologischen Möglichkeiten, die mobile Kommunikation und das Internet boten.
Neue Chancen, ignorierte Risiken
Weit verbreitet war die Überzeugung, der von der Digitalisierung getriebene Innovationsschub würde die Abfolge der Konjunkturzyklen außer Kraft setzen. Angesichts immer höherer Produktivitätsgewinne käme es in Zukunft zu keiner Rezession mehr. So zumindest lautete der Plan.
Und tatsächlich konnte Deutschland gegen Ende der 1990er Jahre eine bemerkenswerte Zunahme an Firmengründungen verzeichnen. Fast jede Geschäftsidee, die irgendetwas mit New Media oder Internet zu tun hatte, wurde umgesetzt, befeuert durch Investoren und Kapitalgesellschaften, die erhebliche Geldmengen in diese neuen Unternehmen pumpten. Die Aussicht auf schnelles Wachstum schaltete alle vernünftige Skepsis aus.
Deutschland im Gründerrausch
Vorbild für den deutschen Nemax war der US-amerikanische Nasdaq, der auf der anderen Seite des Atlantiks Rekordgewinne verzeichnete. Zunächst erfüllten sich die in den neuen Index gesetzten Hoffnungen auch: Der Nemax 50 kletterte am 10. März 2000 auf 9 631,53 Punkte, das sollte sein Höchststand bleiben.
Rund 300 000 „innovative, unternehmensnahe Dienstleistungsunternehmen" registrierte die regierungsamtliche Statistik in Deutschland um die Jahrtausendwende. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch neu entstandene Infrastruktur wie schnelles Internet sowie die dazugehörige Soft- und Hardware. Viele dieser Neugründungen setzten einfach auf die digitale Transformation von Geschäftsmodellen der "Old Economy".
Die Dotcom-Blase platzte
Kritiker*innen dieser Euphorie wurden selten ernst genommen. Börsen-Guru André Kostolany etwa warnte schon 1998 in der NDR-Talkshow, bei der New Economy handele es sich um einen „Betrug mit gezinkten Karten und Falschspielern”. Die optimistischen Bewertungen der Dotcom-Firmen, die ihre Kurse nach oben trieben, seien nicht durch solide betriebswirtschaftliche Fakten gedeckt. Diese Vermutung erwies sich am Ende auch als richtig. Der Nemax erlebte einen beispiellosen Absturz. Im Jahr 2000 waren die am Neuen Markt notierten Unternehmen 235 Mrd. Euro wert, zwei Jahre später waren es nicht einmal mehr 30 Mrd. Euro. Was war passiert? Den kühnen Wachstumsplänen der Unternehmen folgte keine ökonomische Performance.
Ein Kartenhaus von Börsenphantasien
Beispielhaft hier der Fall von Daniel David, der als Schlagersänger nur mäßig erfolgreich war und sein Glück als Unternehmer suchte: Am Tag der totalen Sonnenfinsternis, dem 11. August 1999, ging seine Firma Gigabell an die Börse. Auf der Premierenparty verkündete der Firmengründer: „Wenn die Gigabell ihr Debüt am Neuen Markt feiert, geht die Sonne gleich zweimal auf.“ Das Unternehmen war ein schlichter Internetprovider und machte von Beginn an Verluste. Es erreichte trotzdem einen Wert von 800 Mio. Euro an der Börse. Doch die Gewinne bleiben aus. Im November 2000 war Gigabell insolvent und wurde als erstes Unternehmen aus dem Neuen Markt ausgeschlossen. Andere Unternehmen bedienten sich betrügerischer Machenschaften, Bilanztricksereien und falscher Ad-hoc Meldungen, um den Schein eine Zeit lang aufrecht zu erhalten.
So führten nicht nur in Deutschland solche und ähnliche fehlgeschlagene Businesspläne hochgejubelte Firmen in die Pleite – und zwar in einer Geschwindigkeit, die vor allem unerfahrene Anleger*innen überrumpelte. Viele von ihnen versäumten die Gelegenheit, ihre Aktien rechtzeitig zu veräußern und mussten teils erhebliche Verluste verschmerzen. Auch der amerikanische Nasdaq stürzte von 5 048 Punkten am 10. März 2000 auf 1 114 Punkte am 9. Oktober 2002 ab.
Was bleibt: Der Innovationsschub
Der Börsencrash vernichtete eine Reihe von Unternehmen und beträchtliches Anlegervermögen. Doch auf lange Sicht gesehen haben sich Internet und Digitalisierung nicht aufhalten lassen. Nicht nur Global Player wie Google, Apple, Facebook oder Amazon verzeichnen gigantische Umsätze. Die Unternehmen der New Economy haben unser privates und berufliches Leben grundlegend verändert.
Meilenstein
Bewohner eines der Drillingshäuser: Bruno Walter und Bruno Frank
Bruno Walter und Bruno Frank hießen die ersten Bewohner des ifo-Gebäudes in der Mauerkircherstraße 43. Ihr bedeutendes künstlerisches Wirken in München und der freundschaftlich-intellektuelle Austausch mit den Nachbar*innen im Herzogpark, vor allem mit der Familie von Schriftsteller-Legende Thomas Mann, bilden ein eigenes Kapitel in der Kulturgeschichte dieses Landes bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933. Seit 1963 ist das ifo Institut im Besitz des so geschichtsträchtigen Gebäudes.
Dirigent und Eigentümer Bruno Walter
1913 erwarb der Dirigent und Komponist Bruno Walter eines der sogenannten „Drillingshäuser“, die 1909 vom Münchener Architekten Paul Böhmer erbaut worden waren. Obwohl Walter als Jude unter unverhohlenen antisemitischen Anfeindungen litt, bezeichnete er das knappe Jahrzehnt, das er im Herzogpark verbrachte, wegen der „Fülle und Intensität des künstlerischen Geschehens als die fruchtbarste Zeit meines Lebens“. Bruno Walter blieb bis Herbst 1922 Generalmusikdirektor in München.
Literat und Mieter Bruno Frank
Als er 1924 nach Berlin an die Städtische Oper wechselte, vermietete Bruno Walter sein Haus an das Künstler-Ehepaar Bruno und Liesl Frank. Der Schriftsteller Bruno Frank, ebenfalls jüdischer Herkunft, spielte im literarischen Leben der 1920er und 1930er Jahre in Deutschland eine wichtige Rolle. Zu seinen wichtigsten Werken aus der Münchener Zeit gehört die „Politische Novelle“ von 1928. Sie kreist um die deutsch-französische Aussöhnung nach dem Ersten Weltkrieg, nicht zuletzt inspiriert vom Treffen der Außenminister Aristide Briand und Gustav Stresemann in Locarno 1925. In kürzester Zeit wurde das Buch in fünf Sprachen übersetzt.
Herzogpark-Exilanten in Kalifornien
Bruno und Elsa Walter flohen im März 1933 vor den Nationalsozialisten. Die beiden emigrierten zunächst nach Österreich, dann 1938 in die Schweiz und schließlich in die Vereinigten Staaten. Das Ehepaar Frank verließ München ebenfalls unmittelbar nach dem Berliner Reichstagsbrand im Februar 1933.
1935 kam es zu einem emotionalen Wiedersehen der drei Familien von Bruno Walter, Bruno Frank und Thomas Mann in Beverly Hills, USA. Die freundschaftliche Verbundenheit, die im Münchener Nobelviertel Bogenhausen begonnen hatte, fand im sonnigen Kalifornien unter unfreiwilligen Umständen eine Fortsetzung.
Wie ging es nach der Auswanderung weiter? Bruno Frank verstarb 1945 in Los Angeles, die Manns verließen 1952 die USA in Richtung Schweiz, Bruno Walter konnte seine musikalische Karriere in seiner neuen Heimat fortsetzen und wurde Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker.
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Ortsgeschichte
Big Data Economics am ifo Institut
Big Data – ein Buzzword: Was bedeutet es für die Wirtschaftswissenschaften? Wie macht man Massen an unstrukturierten Daten für die ökonomische Forschung nutzbar? Sebastian Wichert ist Leiter des LMU-ifo Economics & Business Data Center, kurz EBDC. Im ifo Podcast "Wirtschaft für alle" gibt er Einblicke in seine Arbeit mit Big Data Economics sowie in die Bedeutung seines Bereichs innerhalb und außerhalb des ifo.
CESifo: Eine Wachstumsgeschichte
Was ist für exzellente Forschung wichtig? Mit Sicherheit der wertvolle Austausch mit anderen Expert*innen im eigenen oder in verwandten Bereichen und die Möglichkeit, die wertvollen Ergebnisse nach außen zu kommunizieren. Diese und ähnliche Überlegungen gab es auch vor 25 Jahren. Einer Vision des ehemaligen ifo Präsidenten Hans-Werner Sinns ist es zu verdanken, dass Gedankenspiele zu einem der größten Forschungsnetzwerke der Wirtschaftswissenschaft reiften. Heute feiert CESifo Silberjubiläum — und wächst verlässlich weiter.
Geschichte von CESifo
Alle großen Dinge fangen klein an. Vor 25 Jahren galt der Standort München noch keineswegs als Hotspot von Wirtschaft und deren Erforschung. Disparate Gruppen von Wirtschaftswissenschaftler*innen besuchten das Zentrum für Wirtschaftsstudien (CES) an der LMU München, CES-Working Papers gewannen an Bedeutung und Masse – eine Entwicklung, die den früheren ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn inspirierte. So legten 230 Gastforscher*innen des CES, deren Veröffentlichungen und die Organisation von Forschungskonferenzen den Grundstein von CESifo. Noch heute führt das Netzwerk genau diese Elemente in seiner DNA.
Was ist CESifo heute?
Über 2 040 Ökonom*innen aus 46 Ländern, etwa 11 000 veröffentlichte Working Papers, über 800 Veranstaltungen mit über 40 000 Besucher*innen — und das alles in etwas mehr als zwei Jahrzehnten. CESifo hat sich zu einem globalen, unabhängigen Forschungsnetzwerk mit Mitgliedern aus der ganzen Welt entwickelt. Es vernetzt prominente Ökonom*innen mit einem breiten Spektrum an Spezialisierungen, von denen jeder jahrelange Erfahrung und ein hohes Maß an Expertise in die Forschungsbereiche einbringt. Die Mission ist es, den internationalen Wissensaustausch über Wirtschaft und Wirtschaftspolitik voranzutreiben, die Zusammenarbeit zwischen dem ifo Institut und der LMU München zu stärken und München als lebendiges Zentrum der wirtschaftlichen Debatte in Europa zu erhalten. Sie wollen mehr über die Organisation und das Team hinter CESifo erfahren? Klicken Sie unten, und verschaffen Sie sich mit unserem Jubiläums-Video einen Eindruck über Ereignisse und Highlights aus dem Netzwerk und den Menschen, die CESifo ausmachen. Sie wollen mehr erfahren? Besuchen Sie das Netzwerk im Netz.
Netzwerk
Corona: Ein Virus verändert die Welt
31. Dezember 2019: Die Gesundheitsbehörde der chinesischen Millionenstadt Wuhan informiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) über den Ausbruch einer bislang unbekannten Lungenkrankheit. Am 7. Januar 2020 wird eine neuartige Variante des Coronavirus als Verursacher identifiziert. Am 30. Januar ruft die WHO die internationale Gesundheitsnotlage aus. Die Corona-Pandemie breitet sich in rasender Geschwindigkeit aus und verändert die Welt, wie wir sie kannten. Das ifo Institut zeigte schon zu Beginn der Pandemie, dass Eindämmung der Infektionszahlen und Eindämmung der wirtschaftlichen Folgen Hand in Hand gehen – nicht im Zielkonflikt stehen, wie viele behaupteten.
Weltweite wirtschaftliche Auswirkungen
Am 22. Februar 2020 werden beim G-20-Gipfel in Riad in Saudi-Arabien die weltweiten wirtschaftlichen Folgen des Corona-Ausbruchs diskutiert. Noch gibt es Hoffnung, dass die Ausbreitung des Virus eingedämmt werden kann und es nur zu einem kurzfristigen Einbruch der Wirtschaft kommt. Doch es ist bereits zu spät. Schon im Februar verzeichnen die internationalen Finanzmärkte einen dramatischen Kursverfall. Die Welt steht vor einer schweren Wirtschaftskrise. Das ifo Institut veröffentlicht erstmals in seiner Geschichte am 19. März einen Zwischenstand des Geschäftsklimaindex, der den stärksten Rückgang der Geschäftserwartungen in seiner 70-jährigen Geschichte verzeichnet. Auch andere Indikatoren zeigen enorme Einbrüche. Nach einer Einschätzung von ifo-Präsident Clemens Fuest droht eine Weltwirtschaftskrise mit dramatischeren Folgen als die Finanzkrise 2009.
"Es ist ernst, nehmen sie es auch ernst!"
Mit diesen dramatischen Worten wandte sich Angela Merkel am 18. März 2020 in einer Fernsehansprache an die deutsche Bevölkerung. Und wie ernst die Folgen der Pandemie nicht nur für Leben und Gesundheit der Menschen, sondern auch für den Wohlstand waren, zeigten die im Februar 2022 angestellten Berechnungen des ifo Instituts. Corona verursachte der Bundesrepublik 2020 und 2021 wirtschaftliche Ausfälle in Höhe von 330 Mrd. Euro, das bedeutet ein Minus von 10% im Vergleich zur Wirtschaftsleistung des Jahres 2019. Vor der Pandemie war für diese Jahre ein Wirtschaftswachstum von 1,3% prognostiziert worden.
Außergewöhnliche Maßnahmen
Die Virologin Melanie Brinkmann, der Soziologe Heinz Bude, der Internist Michael Hallek, die Politologen Maximilian Mayer und Elvira Rosert und die Physiker Michael Meyer-Hermann und Matthias Schneider sowie die Ökonomen Clemens Fuest und Andreas Peichl: Insgesamt 13 Forschende aus verschiedenen Disziplinen veröffentlichten im Januar 2021 ein gemeinsames Papier zur Bekämpfung der Pandemie. Ihr Hauptziel: Die Infektionen stark senken, aber gleichzeitig die Industrieproduktion aufrechterhalten und durch umfangreiches Testen lokale Öffnungen ermöglichen. Eine Test-, Kontaktverfolgungs- und Isolationsstrategie sowie lokales Ausbruchsmanagement gehörten ebenfalls zu den Plänen. Phasen, die rigorose Maßnahmen erforderten, würden immer wieder von solchen abgelöst, die Lockerungen erlaubten. Die Strategie sollte ein Infektionsschutzkonzept für die gesamte Europäische Union sein.
Wirtschaft unter Druck
Während der ersten Coronawelle im Frühjahr 2020 musste vor allem die deutsche Industrie starke Einbußen hinnehmen. Das lag an den Lockdowns und Betriebsschließungen, aber auch an den Behinderungen des internationalen Warenverkehrs und der zunehmenden Rezession in wichtigen Außenhandelspartnerländern. So gingen die deutschen Warenexporte im März und April 2020 um fast 33% zurück, die Industrieproduktion verzeichnete ein Minus von etwa 25%.
Wirtschaftszweige, bei denen es auf den persönlichen Kontakt mit den Kund*innen ankommt, erlebten eine rasante Talfahrt. Betroffen waren vor allem der stationäre Einzelhandel, Hotel- und Gastgewerbe, Kunst und Unterhaltung sowie Dienstleistungsbetriebe wie Friseursalons oder Kosmetikstudios. Im stationären Einzelhandel waren 2020 ungefähr 3,3 Mio. Menschen tätig, im Hotel- und Gastgewerbe 2,4 Mio., im Bereich Kunst und Kultur 1,3 Mio. und im sozialen Dienstleistungsgewerbe immerhin 0,3 Mio.
Staatliche Hilfe in Deutschland
Angesichts dieser dramatischen Entwicklungen beschloss die Bundesregierung umfassende Hilfspakete. So wurden etwa die Einkommenseinbußen der bis Ende April 2020 gemeldeten 10,2 Mio. Kurzarbeiter*innen – ein in dieser Höhe noch nie erreichter Wert – durch Ausgleichszahlungen abgefedert. Die Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen konnten die erwartete Insolvenzwelle verhindern. Das am 3. Juni von Finanzminister Olaf Scholz als „Wumms“ bezeichnete Konjunkturpaket von 130 Mrd. Euro war, anders als die zeitlich begrenzten und zielgerichteten Hilfsmaßnahmen, auf das zukünftige Wirtschaftswachstum und Innovationen zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit gerichtet.
Schüler ohne Schule
Vor besondere Herausforderungen stellte die Coronakrise das Bildungssystem. Umfragen des ifo Instituts kamen zu dem Ergebnis, dass durch Schulschließungen die Zeit, in der sich Schüler*innen gemeinsam mit den Unterrichtsstoffen auseinandersetzen konnten, halbiert worden war. Der Distanzunterricht konnte diese Lücke nicht ausgleichen. Außerdem führte der Lockdown dazu, dass Kinder deutlich mehr Zeit mit Smartphones und Computern verbrachten. Wuchsen sie in bildungsfernen Familien auf, waren sie besonders stark benachteiligt, weil ihnen zu Hause niemand beim Lernen helfen konnte. Außerdem zeigte sich ein großer Nachholbedarf bei der Entwicklung digitaler Lehrmethoden in Deutschland. Die während der Corona-Pandemie nicht erworbenen Kompetenzen, so die Einschätzung des ifo Zentrums für Bildungsökonomik, können Konsequenzen und Auswirkungen auf die berufliche Zukunft haben und das Lebenseinkommen um etwa 3% verringern – die Auswirkungen auf die gesamte deutsche Volkswirtschaft wären vorhersehbar schlecht.
Nach der Krise...
Im April 2023 verkündete Gesundheitsminister Karl Lauterbach das Ende der Corona-Schutzmaßnahmen, die langfristigen Folgen der Pandemie bleiben jedoch gravierend. Nach Schätzungen der WHO fielen ihr 6 bis 8 Mio. Menschen zum Opfer, 65 Mio. litten oder leiden noch immer unter Long Covid. Der Trend zum Homeoffice stellte viele Unternehmen vor die Herausforderung, die Digitalisierung ihrer Arbeitsprozesse noch entschiedener voranzutreiben. Der Büroalltag und das berufliche Miteinander müssen neu definiert werden. Leerstehende Bürogebäude und der Aufschwung des Onlinehandels verändern die Anforderungen an die Infrastruktur der Städte.
In vielen Bereichen wurde die Krise aber auch als Chance begriffen, wichtige Strukturveränderungen auf den Weg zu bringen, die neues Wachstumspotenzial freisetzen. Entwicklungsaussichten in allen Bereichen, vom ökologischen Umbau der Wirtschaft bis zum Ausbau des europäischen Binnenmarkts, ließen die Forschenden auf eine rasche Erholung der Wirtschaft und eine Konsolidierung der Staatsfinanzen hoffen. Doch diese Hoffnungen wurden mit dem Angriff russischer Truppen auf die Ukraine am 24. Februar 2022 beendet.
Meilenstein
Datenkunst: Patrick Doans „FlowStates“ im ifo Institut
Datenkompetenz trifft Kunst. Mit dem Datenkunstwerk „FlowStates“ lässt das ifo Institut 75 Jahre Expertise mit wirtschaftswissenschaftlichen Daten aufscheinen – ihrer Erhebung, Analyse und Interpretation. Und es zeigt innovative Wege, um mit dieser Expertise Brücken in die Gesellschaft zu schlagen. Das Ergebnis? Formen, organisch anmutend, in Bewegung, laufend neue Muster bildend, strömen im Takt realer Datenaktualisierung über einen riesigen Bildschirm im Foyer des ifo Hauptgebäudes.
Die Schönheit der Daten
Farbig, aber dezent, immer in Bewegung, scheinbar ohne Anfang und Ende – so ziehen sich Datenströme aktuell im Kleid abstrakter visueller Organismen über den Monitor in der Poschingerstraße 5. Kein alltäglicher Anblick am ifo Institut. Dort werden ökonomische Daten eher in mathematische Modelle gegossen, und in Tabellen, Excel-Grafiken und Text präsentiert. Und doch trägt die Installation „FlowStates“ die ifo-DNA in sich: Sie besteht aus sechs festen Datenreihen des ifo-Geschäftsklimas, die kontinuierlich aktualisiert und mit Daten von Eurostat, wie Zahlen zum internationalen Handel auf dem europäischen Markt oder zum Produktionsvolumen im Baugewerbe, verwoben werden. Ein Algorithmus überführt die Datenströme in Formen, die sich in zufälliger zeitlicher Abfolge, bestimmt durch einen Tag- und Nachtzyklus, präsentieren. Es entsteht ein Zusammenspiel aus dem realen Fluss der Daten und der entsprechenden visuellen Übersetzung in Bewegung, Form, Geschwindigkeit oder Farbe.
„FlowStates“ und das ifo Institut
Die Kunst ist offen für die Verarbeitung von Daten – und das ifo Institut ist offen für die Kunst. „FlowStates“ symbolisiert den ständigen, dynamischen Wandel in unserer Wirtschaft und Gesellschaft, wie auch das ifo mit seiner Forschung aktuelle Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft aufgreift, evaluiert und mit neuen Handlungsoptionen versieht. Das lokal entstandene Kunstwerk hat Impact, überschreitet geografische und disziplinäre Grenzen und erreicht durch die digitale Verbreitung ein internationales Publikum – genau wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Instituts. „FlowStates“ untermauert, dass sich das Institut für die Zukunft der ökonomischen Forschung mit großen Datenmengen verschrieben hat.
Zum Künstler
Der Schöpfer von „FlowStates“, Patrick Doan, ist ein kanadischer Künstler, der in Berlin lebt. Er gilt als einer der führenden Köpfe der digitalen Echtzeit-3D-Kunstszene. Seine Erfahrungen erstrecken sich auf die Bereiche Design, Film und Architektur. Zu seinen Arbeiten gehören dynamische 3D-Echtzeitgrafiken, Live-Performances, Musikvideos und Installationen. Unter seinem Pseudonym „defasten“ schafft Patrick Doan visionäre visuelle Designs, die aus skulpturalen, generativen und dekonstruierten geometrischen Objekten und Elementen bestehen. Seine Arbeiten wurden in über 25 Ländern ausgestellt und erhielten Anerkennung von renommierten Institutionen weltweit, darunter die Art Basel Miami (Beyond Basel), das New Museum in New York City, die Ars Electronica, die Transmediale in Tokio (Neo Shibuya TV), Integrated Systems Europe (ISE) und MIRA in Barcelona.
Zugang zum Kunstwerk hier:
Veröffentlichung
Der Euro: Ein langer Weg zur einheitlichen Währung
Am 1. Januar 2002 wurde die Veränderung für die EU-Bürger*innen greifbar: In zwölf Ländern begann die größte Bargeldumstellung der Geschichte. An diesem Feiertag nach Silvester zogen auch viele Bundesbürger*innen ihre ersten Euroscheine aus den Automaten. Bis Ende 2001 wurden insgesamt etwa 15 Mrd. Banknoten im Wert von 630 Mrd. Euro und über 51 Mrd. Münzen mit einem Wert von 16 Mrd. Euro hergestellt.
Der lange Weg zum Euro
Der 1989 verabschiedete Delors-Bericht, der nach dem damaligen Präsidenten der Europäischen Kommission Jacques Delors benannt war, sah eine Realisierung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion in drei Schritten vor. Im Vertrag von Maastricht 1992 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf einen rechtlichen Rahmen und auf Beitrittskriterien zur Währungsunion. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt von 1997 formulierte konkrete Vorgaben: Den Euroländern war eine jährliche Neuverschuldung von maximal 3% und ein Gesamtschuldenstand von maximal 60% ihres Bruttoinlandsprodukts erlaubt. Am 1. Januar 1999 wurden dann die Wechselkurse der nationalen Währungen zum Euro endgültig festgelegt. Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Österreich, Irland, Finnland, Spanien und Portugal übergaben die geldpolitische Steuerung in die Hand der 1998 gegründeten Europäischen Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt am Main.
Große Hoffnungen und Bedenken
Viele Ökonom*innen hofften, dass die Bedeutung des Euro durch einen hohen Vertrauensgewinn sowie durch die Attraktivität des europäischen Finanzmarkts zunehmen würde und rechneten mit Aufwertungseffekten. Allerdings, so mahnte Jürgen Stark, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, und Festvortragender auf der ifo Jahresversammlung im Juni 1998: „Die Beibehaltung und Intensivierung der Stabilitätskultur der Mitgliedsländer der EWU ist die wichtigste Voraussetzung dafür, daß der Euro Vertrauen gewinnt und einen gebührenden Platz im internationalen Währungsgefüge einnehmen kann.“
Auch andere mahnende Stimmen wurden laut: Die Beitrittskriterien für die Mitgliedstaaten der Währungsunion seien nicht streng genug. Konflikte zwischen Ländern, deren Ökonomie unterschiedlich gefestigt seien, wären vorhersehbar. Ökonom und Nobelpreisträger Paul Krugman sah die Einführung des Euro sogar als „invitation to desaster“. Und tatsächlich kam es vor und nach der Einführung immer wieder zu Verstößen der Mitgliedstaaten gegen die Beitrittskriterien und Vorgaben des Stabilitätspakts.
Große Mehrheit für Euro im Bundestag
Als es im deutschen Bundestag am 23. April 1998 zur Abstimmung über die Eurowährung kommen sollte, dauerte der heftige Schlagabtausch zwischen Koalition und Opposition fast sieben Stunden. Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) war einer der Befürworter der neuen Währung. Es handele sich dabei „nicht nur um eine währungspolitische Entscheidung“, sondern um einen Beitrag zur europäischen Einigung von historischer Dimension. Deshalb sollte sich der Bundestag kein ausweichendes „Nicht jetzt“ und „Nicht so“ erlauben, forderte Genscher. Jetzt müsse man klar „Ja“ oder „Nein“ sagen.
Für ein klares „Nein“ entschied sich Gregor Gysi (PDS): Die Vereinigung Europas lasse sich nicht über gemeinsame Banken schaffen. Um eine weitgehende Integration zu erreichen, müssten auch die Steuern angepasst sowie soziale, ökologische und juristische Standards vereinheitlicht werden, argumentierte Gysi.
Schließlich wurde die Einführung des Euro als neue europäische Gemeinschaftswährung mit einer überraschend großen Mehrheit beschlossen: Nur 35 von 672 der Bundestagsabgeordneten stimmten mit „Nein“.
Die Schwächen der neuen Währung
Im Jahr 2001 erfolgte dann eine erste Bilanz vonseiten des ifo Instituts: Seit seiner Einführung am 1. Januar 1999 hatte der Euro über ein Viertel seines Außenwerts verloren. Die andauernde Schwäche der europäischen Währung konnte mit makroökonomischen Faktoren nicht erklärt werden und im Schnelldienst Nr. 13 aus dem Jahr 2001 kam es zu einem Meinungsaustausch der Wissenschaftler*innen. Man war sich einig, dass „erst das Vertrauen in die Existenz eines faktischen sowie wirtschaftlich dynamischen und stabilen Eurolandes den Euro nachhaltig stärken würde“. Letztlich seien „wirtschaftspolitische Reformen, die glaubhaft eine höhere realwirtschaftliche Dynamik versprechen, wichtiger für die Stabilisierung des Eurokurses als der Umlauf eines einheitlichen Geldes“. Ebenso wurden feste Regeln und strengere Haushaltsdisziplin der Mitgliedsländer und ein sicheres Agieren der EZB gefordert.
Gut ein Jahrzehnt nach der Einführung zeichnet der damalige ifo-Präsident Hans-Werner Sinn eine düstere Bilanz der Euro-Einführung.
Meilenstein
Der Herzogpark: Geschichte des Ortes
Der Münchner Hauptsitz des ifo Instituts befindet sich in Bogenhausen, genauer im Herzogpark, eine der exklusivsten Wohnlagen der Stadt. Die intellektuell-künstlerische Vergangenheit dieses Ortes erwies sich als förderlicher Nährboden für ein international vernetztes wirtschaftswissenschaftliches Forschungszentrum.
Ein Stadtviertel entsteht
Der Herzogpark ist nach seinem ursprünglichen Besitzer Herzog Max in Bayern (1808-1888) benannt, Vater der späteren Kaiserin Elisabeth von Österreich, genannt Sisi. Sein Sohn, Erzherzog Karl Theodor, verkaufte das weitläufige Gelände entlang des östlichen Isarufers Anfang 1900 an die Terrain-Aktiengesellschaft Bogenhausen-Gern. Die ehemaligen Jagdgründe des Herzogs präsentierten sich damals noch als wilde, unberührte Natur, eine Ahnung davon vermittelt Thomas Manns Erzählung „Herr und Hund“. Erschlossen wurde das neue Baugebiet zunächst durch eine langgezogene Hauptstraße, die nach dem Passauer Erzbischof Friedrich Mauerkircher benannt wurde, später wurde die parallel verlaufende, nach einem bayerischen Adelsgeschlecht benannte Pienzenauerstraße angelegt. Während des Ersten Weltkriegs waren die Arbeiten unterbrochen, viele Grundstücke an den oft nach berühmten Dichtern von Gellert bis Stifter benannten Straßenzügen des Herzogparks lagen lange Zeit brach.
Intellektuelle und Künstler beleben den Ort
In den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts lebte im Herzogpark eine künstlerische und intellektuelle Community, die regen nachbarschaftlichen und freundschaftlichen Austausch pflegte. Als einer der Ersten ließ sich Ludwig Freiherr von Gumppenberg-Pöttmes-Oberprennberg, Gründungsmitglied der Terraingesellschaft, im Herzogpark nieder, wo er ab 1906 in der Poschingerstraße 2 eine repräsentative Villa bewohnte. Der Schriftsteller Alfred von Heymel erwarb 1909 ein Grundstück gegenüber in der Poschingerstraße 5. 1907 kaufte der Privatgelehrte Robert Hallgarten in direkter Nachbarschaft das Grundstück Pienzenauerstraße 15, wo er ab 1910 mit seiner Frau, der Frauenrechtlerin und Pazifistin Constanze Hallgarten lebte. Im gleichen Jahr mietete Thomas Mann für seine sechsköpfige Familie zwei benachbarte Wohnungen in der Mauerkircherstraße 13. 1913 erwarb der Dirigent Bruno Walter eines der Drillingshäuser Mauerkircherstraße 43. Sein Nachbar in Nummer 41 wurde im gleichen Jahr der Historiker und Bismarck-Biograph Erich Marcks.
Das Gesetz der guten Nachbarschaft
Das Schauspielerehepaar Herta von Hagen und Gustl Waldau zogen in die Mauerkircherstraße 39. Ludwig Ritter von Zumbusch, Professor an der Akademie der Künste und insbesondere für seine Kinderporträts gefeierter Maler, bezog 1910 eine Villa des Architekten Otto Riemerschmid in der Schönbergstraße 9. In der Pienzenauerstraße 22 – 24 lebte seit 1913 der Dirigent Leopold Stokowski, ein guter Freund von Bruno Walter. 1914 zog Thomas Mann in die legendäre Villa Poschingerstraße 1. Ab 1926 vermietete Bruno Walter sein Haus an den Autor Bruno Frank, der dort mit seiner Frau Fritzi, der Tochter der gefeierten Sängerin und Schauspielerin Fritzi Massary, wohnte. Gute Nachbarschaft in kulturell anspruchsvollen Kreisen suchte der Bankier Otto Deutsch-Zeltmann, Buchliebhaber, Sammler und langjähriger Leiter der „Gesellschaft der Münchner Bücherfreunde“ sowie wichtiger Stifter der bibliophilen Maximiliansgesellschaft. 1922 bezog er seine Villa in der Vilshofener Straße 8. Einer der geistigen Gründerväter des ifo Instituts, Adolf Weber, bezog eine Wohnung in der Pienzenauerstraße 4, ein bis heute erhaltener Jugendstilbau in der Nähe des Kufsteiner Platzes. 1921 hatte er den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an der Universität München übernommen. Die von ihm initiierte „Volkswirtschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Bayern“ traf sich häufig in Webers „stillem Haus am Herzogpark“. Adolf Weber und seine Gäste, darunter Ludwig Erhard, entwickelten Ideen, die bis heute die Aktivitäten und Forschungsthemen des ifo Instituts prägen.
Ein Ort des geistigen Austauschs
Adolf Weber war es auch, der den Hinweis gab, dass das Haus in der Poschingerstraße 5 nach dem Krieg zum Verkauf stand. Ab 1952 arbeiteten hier die Mitarbeiter des ifo Instituts. Später bezogen sie auch Büros in den Drillingsvillen an der Mauerkircherstraße. Der geistige Raum, den die Nachbarschaft des Herzogparks von Anfang an gebildet hat, steht damit auch am Anfang der Erfolgsgeschichte des ifo Instituts. Die Häuser, in denen die Forscher des ifo Instituts arbeiten, atmen bis heute die geistige Lebendigkeit des Ortes und seiner ehemaligen Bewohner*innen.
Ortsgeschichte
Der ifo Campus: Architektur im Wandel
Das David-Bradford-Haus, Hauptgebäude des ifo Instituts in der Poschingerstraße 5, fügt sich mit seinen gepflegten Fassaden und Säulen im Gründerstil nahtlos in das Villenviertel im Herzogpark ein. Doch was sich hinter dieser Fassade und der des im Anwesen liegenden Adolf-Weber-Hauses verbirgt, war im Laufe der Jahre veraltet und entsprach nicht mehr den Anforderungen eines modernen Forschungsinstituts. Der Architekt Lukas Eibl über den Spagat zwischen Tradition und Moderne.
Was ist wichtig, wenn man sich Gedanken über eine Modernisierung historischer Bausubstanz macht?
Bei Umbauten im Bestand sollte dezidiert auf das bestehende Gebäude eingegangen werden. Was war der ursprüngliche Ansatz der Erbauungszeit? Welchen Charakter hatte das Gebäude ursprünglich inne, was ist davon noch erhalten? Und welche Besonderheiten haben die Räume? Beispiele dafür im ifo sind etwa die historischen Elemente im Musgrave-Saal oder der Fakt der Fensterlosigkeit beim neuen Think Tank des EBDC. Bei einer Modernisierung geht es dann vielmehr darum, keine künstliche Welt in das bestehende Haus zu implementieren, sondern das Haus aus der eigenen Charakteristik heraus weiterentwickeln.
Wir sitzen hier im Garden Café, an uns grenzt das hochmoderne EBDC. Die Säle im David-Bradford-Haus wiederum haben einen ganz anderen Stil. Was ist die Idee hinter diesen unterschiedlichen Räumlichkeiten?
Schauen wir uns das Bestehende an: Beim Adolf-Weber-Haus handelt es sich um einen scheinbar profanen Bürobau der 1960er Jahre. Der Charme steckt in der umlaufenden und für das Baujahr typischen sogenannten Bandfassade. Sie ermöglicht den maximalen Blickbezug nach Außen: in den wunderschönen Garten des ifo und auf die denkmalgeschützte Umgebung. Als Kontrast gibt es den innenliegenden, fensterlosen Raum, der zum Studio und Think Tank geworden ist. Die Offenheit und Transparenz der 1960er Jahre waren Impulsgeber. Nadelfilz, Beton, Glas und Jura-Marmor sind vorherrschende Materialien, die mit klassisch-modernen Möbeln kombiniert werden können.
Inwiefern spielt der Herzogpark als Umgebung eine Rolle?
Der Münchner Herzogpark mit seiner ihm eigenen Geschichte hat einen besonderen „genus loci“ – einen ihm innewohnenden, eigenen Charakter, den man nicht zerstören sollte; was nicht heißt, dass es keine Veränderung geben kann. Man muss dennoch bei jeder Maßnahme abwägen, wie man vorgeht. Beispielsweise das Thema der Lichtschalter und Steckdosen: Hier steckt heute viel intelligente Steuerung drin, wie USB-Hubs, Anschlüsse für moderne Kameratechnik und die Steuerung der LED-Beleuchtung. Sicher hätte man dies mit großem Aufwand auch in „historisierende Schaltserien“ stecken können. Dies ist nur ein kleines Beispiel. Es zeigt aber: Veränderung ist möglich. Eine Abwägung muss aber stattfinden und das sorgsame Entwerfen bis ins Detail ist entscheidend.
Welche Phasen und Umbrüche hat das Ensemble des ifo Campus im Lauf der Zeit erlebt?
Tatsächlich hat das David-Bradford-Haus eine spannende Geschichte. Die ursprüngliche Villa des Verlegers Alfred Heymel stand mit üppigem Abstand und opulentem Vorgarten weit abgerückt von der Straße auf einem enorm großen Gartengrundstück. In den 1950er Jahren wurde die ursprüngliche Villa in drei Einzelschritten erweitert, um überhaupt für das Institut nutzbar zu werden. Die Villa steckt noch im Kern des heutigen Gebäudes. Viele Beispiele der Nachkriegsarchitektur in München zeichnen sich durch eine reduzierte Architektur mit äußerst eleganten und filigranen Bauteilen aus. Ein Beispiel dafür ist die Maxburg in der Innenstadt. Beim ifo wurde dem bestehenden Gebäude aber mit offensichtlich viel Respekt begegnet – zumindest äußerlich. Auf den ersten Blick erkennt man die ganzen Erweiterungen von außen nicht sofort, obwohl diese – bei gleicher Gebäudehöhe – ein Geschoss mehr aufweisen. Sprossenfenster, gegliederte Putzfassaden und das Mansarddach „versteckten“ den damaligen Neubau. Die Lichthöfe wurden als Zäsur zwischen Neubau und Bestand eingesetzt. Leider wurde aber durch die brachiale Treppe im Inneren, die auch alle Niveaus verbinden muss, wenig sensibel eingegriffen. Dem Wahren des äußeren Scheins begegnete man im Inneren mit einer – für meine Begriffe – zu pragmatischen Haltung.
Eines der offensichtlichsten Zeugnisse der ursprünglichen Räumlichkeiten ist das Fresko im Musgrave-Saal. Wie bettet man ein solch authentisches Kunstwerk in eine Modernisierung des Saals ein?
Auch hier gilt es, das schon Vorhandene zu nutzen. In der Raummitte hängt jetzt eine Leuchte der Wiener Werkstätten, der Entwurf stammt aus dem Jahr 1905, die durch die schlichte Erscheinung nicht alle Aufmerksamkeit auf sich zieht und dennoch aus historischen Materialien zusammengesetzt ist. Die Wandmalereien hingegen, die vorher eher wenig Beachtung fanden, setzen nun moderne Kontur-Strahler in Szene. Diese sind so eingestellt, dass nur das Kunstwerk illuminiert wird und es fast scheint, als würde dieses von innen heraus zu leuchten beginnen. Sind die Strahler an und man betritt den Raum, wird im Prinzip ein Museumserlebnis geboten, denn genau dieser Ausleuchtung ist die Inszenierung um die Fresken nachempfunden.
Sind Ihnen am ifo noch andere, interessante und historische Objekte begegnet?
Die Frage nach „Historie“, „Authentizität“ ist insofern interessant, als dass das ifo-Hauptgebäude über die gesamte Zeit seines Bestehens eben sehr viele Eingriffe und Veränderungen erfahren hat. Es sind also tatsächlich kaum weitere Originalteile des Hauses erhalten. Man will dennoch keinen Bruch evozieren, sondern alles im Geiste der 1900er Jahre entwickeln, ohne zu rekonstruieren. Darin steckt auch der Gedanke von Nachhaltigkeit – warum nicht bereits Vorhandenes wiederverwenden, wenn es sich anbietet? Beispielsweise ist ein altes Rednerpult erhalten geblieben, wurde aber neu und in schwarz lackiert. Oder der Tresen in der Lounge, der trägt inzwischen ein neues „Kleid“ – und ist jetzt mit Filz verkleidet.
Für Interessierte: Führung durch die ifo Gebäude im Rahmen der "Architektouren" am 30. Juni 2024 – Informationen bei der Bayerischen Architektenkammer.
Ortsgeschichte
Der ifo Schnelldienst: Geschichte eines Leitmediums
Ob konjunktureller Gradmesser, wissenschaftliches Aushängeschild oder Forum für kontroverse Debatten – der ifo Schnelldienst hat für wirtschaftspolitische Themen bundesweit Aufmerksamkeit geweckt wie nur wenige andere Publikationen. Bis heute ist er ein wichtiges Element in der Öffentlichkeitsarbeit des ifo Instituts.
Am Anfang war es Handarbeit
Als Herausgeber des ersten Hefts zeichnete die Informations- und Forschungsstelle für Wirtschaftsbeobachtung. Sie gehörte damals zum Bayerischen Statistischen Landesamt und war in München in einer Polizeikaserne in der Rosenheimer Straße 130 untergebracht. Im Januar 1949 fusionierte die Informations- und Forschungsstelle mit dem Süddeutschen Institut für Wirtschaftsforschung zum Institut für Wirtschaftsforschung e. V. München – kurz ifo. Die Geschichte des ifo Schnelldiensts beginnt bereits sechs Monate vor der Gründung des ifo Instituts. Schon im Juli 1948 produzierten die Mitarbeitenden der Informations- und Forschungsstelle für Wirtschaftsbeobachtung auf einem handbetriebenen Vervielfältigungsgerät die ersten Hefte des neuen Magazins: Seite für Seite. Als Erscheinungsdatum setzten sie den 20. Juli 1948 ein.
Am Puls der Nachkriegswirtschaft
Die Themen der ersten Ausgabe spiegeln die Hoffnungen der Nachkriegszeit: Dort finden sich etwa die Ergebnisse der ersten repräsentativen Umfrage bei Industrieunternehmen – der Beginn der ifo Konjunkturumfragen.
Daneben stehen aber auch datenbasierte Spekulationen über die plötzliche Warenfülle des Einzelhandels: War dies nur ein Abverkauf alter Lagerbestände, ein vorübergehender Effekt der Währungsreform oder kündigte sich schon wenige Jahre nach Kriegsende ein dauerhafter Wohlstand mit einem ungewohnt reichen Warenangebot an? Die Analyse aktueller Herausforderungen in Politik und Wirtschaft ist auch heute noch der Kern des ifo Schnelldiensts – sein Themenspektrum hat sich in viele Richtungen erweitert.
Redaktionsleitung war Chefsache
Die Bedeutung des ifo Schnelldiensts für das Institut lässt sich schon daran ablesen, dass mit Eduard Werlé ein Vorstandsmitglied die Redaktionsleitung übernahm. Der ifo Schnelldienst war das wichtigste Instrument der ifo-Öffentlichkeitsarbeit; seit 1999, als die zunächst vierteljährlich, ab 1974 in monatlichem Rhythmus erscheinende Wirtschaftskonjunktur eingestellt wurde, gilt er auch als Leitmedium des Instituts. Zunächst sollte der ifo Schnelldienst ausschließlich der Presse „die wichtigsten Ergebnisse unserer Arbeit“ präsentieren – und zwar gegen Honorar.
Heißbegehrte Informationen
Ursprünglich ergänzte der ifo Schnelldienst die Hefte der Wirtschaftskonjunktur. Zur eindeutigen Abgrenzung trug er den Untertitel „Wöchentlicher Kurzbericht zur Wirtschaftskonjunktur“. Alle sieben Tage landeten die – zunächst weiter handgedruckten – Hefte auf den Schreibtischen der Wirtschaftsredaktionen und bei allen Mitgliedern des ifo-Vereins: bei Ministerien, Universitäten, Unternehmen und Verbänden. Schon bald galt der ifo Schnelldienst auch in der Öffentlichkeit als eine der wichtigsten Informationsquellen zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland und der Welt. Es dauerte aber noch rund zwei Jahre, bis das Institut von dem handbetriebenen Vervielfältigungsgerät zu einer moderneren Offset-Druckmaschine wechselte, bevor man 1952 mit dem Aufbau einer eigenen Hausdruckerei begann.
Plattform für das Geschäftsklima
1954 führte die Redaktion feste Rubriken ein: das Bild der Woche, ifo-Hinweise, Kurzkommentare, Beiträge zur Wirtschaftslage, Kurzberichte zur Wirtschaftskonjunktur und Thesen zur Wirtschaftslage. Außerdem stand das Abonnement nun allen wirtschaftlich Interessierten offen. Auch unter den Mitarbeiter*innen des Instituts war bald klar: Wer etwas zu sagen hat, publiziert im ifo Schnelldienst. Schon in den Jahren 1970-1976 waren es durchschnittlich 136 Beiträge aus ifo-Kreisen pro Jahr.
Wie die Wirtschaftskonjunktur dokumentierte der ifo Schnelldienst nicht nur zentrale wirtschaftspolitische Themen in der Geschichte der Bundesrepublik wie die Hartz-Reformen, die EU-Osterweiterung oder die Eurokrise, sondern auch wichtige Etappen in der Geschichte des Instituts: So feierte auch der heute wohl allen Nachrichten- und Wirtschafts-Journalist*innen geläufige ifo Geschäftsklimaindex seine Premiere im ifo Schnelldienst – wenn auch eher unauffällig. Eine dreizeilige Tabelle zeigte in der Ausgabe 12/1971 den Verlauf des Index von Januar 1970 bis Februar 1971.
Ein Ort für Debatten
Bis Ende der 1990er Jahre blieb der ifo Schnelldienst seinem redaktionellen Auftrag weitgehend unverändert treu. Im Lauf der Jahrzehnte hat sich das Erscheinungsbild gewandelt und der Erscheinungsrhythmus wurde angepasst. Dann aber ordnete der Vorstand die Publikationen des Instituts neu – und definierte den ifo Schnelldienst als neues Leitmedium, in das er die Wirtschaftskonjunktur integrierte.
Nun öffnete sich der ifo Schnelldienst nicht nur für Beiträge externer Autor*innen, sondern entwickelte sich mit der neuen Rubrik „Zur Diskussion gestellt“ weiter zu einem Debattenmedium. Seit 2020 konzentriert man sich in dieser Rubrik auf Themen, die das ifo Instituts fachlich besetzt. Damit wird die Sichtbarkeit der ifo-Forschenden verbessert – das thematische Spektrum verteilt sich zudem auf mehrere Schultern und korrespondiert mit der neuen Kommunikationsstrategie des ifo Instituts. Im gleichen Jahr wurde der ifo Schnelldienst digital eingeführt. In dieser reinen Online-Zeitschrift werden Artikel außerhalb des monatlichen Erscheinungstermins des ifo Schnelldiensts publiziert.
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Veröffentlichung
Die Anfänge des ifo Instituts
Das ifo Institut entstand aus dem Zusammenschluss zweier Forschungsinstitute. Im Januar 1949 vereinigten sich das Süddeutsche Institut für Wirtschaftsforschung und die Informations- und Forschungsstelle für Wirtschaftsbeobachtung zum Institut für Wirtschaftsforschung e. V. München – kurz ifo. Wie kam es zu dieser Fusion? Werfen wir einen Blick auf die komplexe Vorgeschichte der Gründung.
Praktische Wirtschaftsforschung von Anfang an
„Institut für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware“ – so der Name der Einrichtung an der Handelshochschule in Nürnberg, an der Ludwig Erhard 1928 eine Assistentenstelle antrat. Dieses Institut war 1925 von Wilhelm Vershofen als eines der beiden ersten Institute für praktische Wirtschaftsforschung in Deutschland gegründet worden, im gleichen Jahr wie das Institut für Konjunkturforschung IfK in Berlin, heute Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung DIW.
Erhard fand hier einen Ort, an dem er sich beruflich weiterentwickeln konnte. Er war maßgeblich am Ausbau des Instituts und an dessen Erfolg vor allem im Bereich der Industriemarktforschung beteiligt. Als ihm die Nachfolge an der Spitze des Instituts verwehrt wurde, parierte er diesen beruflichen Rückschlag 1942 mit der Gründung eines eigenen Instituts für Industrieforschung.
Als erster an der richtigen Stelle – die politische Karriere
Schon gleich nach dem Einmarsch der US-Truppen in seiner Heimatstadt Fürth am 19. April 1945 stellte sich Erhard bei der amerikanischen Militärbehörde als Ökonom vor und bot seine Dienste an. Am 22. Oktober 1945 wurde er vom amerikanischen Militärgouverneur zum Minister für Handel und Gewerbe in der Bayerischen Staatsregierung ernannt.
1947 leitete er die Expertenkommission der Verwaltung der Finanzen der britisch-amerikanischen Bizone und war in dieser Funktion mit der Vorbereitung der Währungsreform betraut. Im März 1948 ernannte ihn die britisch-amerikanische Militärregierung in Frankfurt zum Direktor des Wirtschaftsrats der Bizone. Damit verantwortete er die Wirtschaftspolitik der westlichen Besatzungszonen – der direkte Weg zur politischen Karriere als erster Wirtschaftsminister der Adenauer-Regierung.
Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis
Das von Erhard 1942 gegründete „Institut für Industrieforschung“ wurde zum „Institut für Wirtschaftsbeobachtung und Wirtschaftsberatung“ (seit 1946) und 1947 zum „Süddeutschen Institut für Wirtschaftsforschung". Erhard sah die außeruniversitäre Wirtschaftsforschung als bedeutenden Akteur bei der Gestaltung einer der neuen Wirtschaftsordnung für die Bundesrepublik der Nachkriegszeit. Er verwendete schon bald die Metapher der „Brücke", die ein Wirtschaftsforschungsinstitut zwischen der universitären Wirtschaftsforschung einerseits und der staatlichen und wirtschaftlichen Praxis andererseits schlagen müsse. Dabei sollte die Arbeit eines solchen „Brücken-Instituts“ nach Erhards Überzeugung strikt überparteilich und wissenschaftlich ausgerichtet sein – möglichst mit direkter Anbindung an die universitäre Forschung.
Ein steiniger Weg
Die Entwicklung des Süddeutschen Instituts für Wirtschaftsforschung geriet nach 1947 ins Stocken, weil finanzielle Mittel zum weiteren Ausbau der Forschungskapazitäten fehlten. Erhard und seine Mitstreiter hatten sich auf privatwirtschaftliche Unterstützung verlassen, aber ohne öffentliche Mittel war die Zukunft des Instituts ungewiss.
Um öffentliche Unterstützung bewarb sich 1947 gleichzeitig eine weitere, dem Bayerischen Statistischen Landesamt assoziierte Einrichtung zur Wirtschaftsbeobachtung. Gegründet wurde sie von Karl Wagner, promovierter Nationalökonom, Statistiker und Leiter des Landesamts. Gemeinsam mit Hans Langelütke baute Wagner im Landesamt die Informationsdienstleistungen auf dem Gebiet der Wirtschaftsbeobachtung seit April 1948 weiter aus, um sie dann in der „Informations- und Forschungsstelle für Wirtschaftsbeobachtung" (ifo) zu bündeln. Unmittelbar nach der Währungsreform wurden erstmals Unternehmensbefragungen durchgeführt und 1948 erschien hier die erste Ausgabe des „Ifo-Schnelldienst".
Die Geburtsstunde des ifo Instituts
Voraussetzung für die öffentliche Finanzierung beider Institute war nach dem Willen der bayerischen Staatsregierung deren Zusammenschluss. So einigten sich die Mitglieder am 24. Januar 1949 auf die Gründung des gemeinsamen Instituts für Wirtschaftsforschung e. V. München, Kurzbezeichnung „ifo Institut".
Das neue Institut nahm seine Arbeit am 1. März 1949 und konnte mit drei Fachabteilungen – einer volkswirtschaftlichen, einer branchenwirtschaftlichen und einer betriebswirtschaftlichen – an den Start gehen.
Das Bayerische Statistische Landesamt stellte dem Institut als Zwischenlösung einige Räume in den Gebäuden in der Rosenheimer Straße 130 – einer früheren, teilweise zerbombten Polizeikaserne – zur Verfügung. Der größte Teil des Personals wurde in zwei Holzbaracken auf dem ehemaligen Exerzierplatz der Kaserne untergebracht. Trotz dieser widrigen Arbeitsbedingungen erlangte das ifo Institut schon bald eine herausragende Stellung in der angewandten Wirtschaftsforschung.
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Anfänge
Menschen
Die EWG: Auf dem Weg zur europäischen Integration
Der wirtschaftliche Wiederaufbau Europas war von Anfang mit der Wiederbelebung des europäischen Einigungsgedankens verbunden. Frankreich, Deutschland, Italien und die Beneluxstaaten schufen mit der Gründung der Montanunion 1951 einen gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl. Dies war ein erster Schritt auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum und zur Gründung der EWG im Jahr 1957. Der gesamte Prozess wurde eng von den Analysen des ifo Instituts begleitet.
Scheitern der Verteidigungsgemeinschaft
Dass es sehr viel größere Hindernisse zu überwinden galt, um nicht nur wirtschaftliche, sondern auch militärische und politische Interessen zu bündeln, zeigte 1954 das Scheitern der Verträge zur Errichtung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) am Veto der Französischen Nationalversammlung. 1955 gelang es, den ins Stocken geratenen Einigungsprozess wieder anzustoßen, indem man sich auf eine Kooperation auf wirtschaftlichem Gebiet auf der Grundlage der Montanunion konzentrierte.
Verhandlungen der Montanunion
Auf der Konferenz von Messina kamen 1955 die Mitglieder der Montanunion erstmals wieder seit dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zusammen und verhandelten über eine neue Wirtschaftsgemeinschaft. Federführend war der französische Außenminister Jean Monnet, dessen Vorschläge für eine wirtschaftliche Einigung der Volkswirtschaften die Verhandlungen angestoßen hatten. Ein wichtiger Aspekt war von Anfang an die Zusammenarbeit auf dem Nuklearsektor, da die Verhandlungspartner in der friedlichen Nutzung der Atomenergie einen besonderen Ausdruck für das gemeinsame Streben nach Fortschritt sahen.
Die „Spaak-Kommission“
Eine nach dem belgischen Außenminister Paul-Henri Spaak benannte Regierungskommission erarbeitete Empfehlungen, auf deren Grundlage die Regelungen für einen gemeinsamen Markt beschlossen wurden. Dazu zählte der Abbau der Hindernisse für den europäischen Waren- und Dienstleistungsverkehr durch den Wegfall von Zollschranken und Kontingentierungen, die Freizügigkeit für den Dienstleistungs-, Personen und Kapitalverkehr, ein gemeinsamer Agrarmarkt, eine europäische Handelspolitik, Zollschranken an den europäischen Außengrenzen und die Schaffung gemeinsamer Institutionen.
Der Startschuss in Rom
Am 25. März 1957 einigten sich die sechs Staaten auf die Errichtung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG und der Europäischen Atomgemeinschaft EURATOM und unterzeichneten in Rom die notwendigen Verträge. Ein Durchbruch für Europa, sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer Hinsicht, wie Konrad Adenauer meinte: „Der Gemeinsame Markt muß betrachtet werden nicht in erster Linie als ein wirtschaftlicher Vertrag, sondern als ein politisches Instrument. Er muß im Zusammenhang betrachtet werden mit dem Europarat, der Montanunion und EURATOM, kurz und gut, es handelt sich hier um eine Reihe von politischen Fakten. Die EWG ist in der Hauptsache ein politischer Vertrag, der bezweckt, auf dem Wege über die Gemeinsamkeit der Wirtschaft zu einer politischen Integration Europas zu kommen.“ Die Römischen Verträge traten am 1. Januar 1958 in Kraft.
Das ifo und die EWG
Der Einigungsprozess wurde von Anfang an im ifo Schnelldienst kommentiert. Man fokussierte zunächst auf einzelne Aspekte der europäischen Zusammenarbeit, wie die Erzeugung von Fleisch im Gebiet der neuen EWG (ifo Schnelldienst vom 26. September 1957). Seit 1961 weitete sich der Blick. Als die Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen der EWG neben der Vereinheitlichung der amtlichen Statistiken auch eine konjunkturtestähnliche Unternehmensbefragung der Industrie in der EWG einführen wollte, wurde das ifo Institut in München mit der Durchführung dieser Tests im westdeutschen Raum beauftragt. In enger Anlehnung an die ifo Tendenzbefragungen erschien seit Frühjahr 1962 monatlich der Europäische Konjunkturtest, der an etwa 14.000 Industriebetrieben der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durchgeführt wurde. Etwas später kam eine jährliche Investitionsbefragung dazu. Seit 1963 wurden die Ergebnisse beider Befragungen im Schnelldienst regelmäßig veröffentlicht.
Kritische Stimme aus München
Der weit verbreiteten Meinung, dass nach der Gründung der EWG die Mitgliedstaaten einen wirtschaftlichen Aufschwung erwarten durften, steht das ifo Institut in seinen Berichten eher skeptisch gegenüber. „Gibt es schon einen EWG-Mythos?“ fragt der Schnelldienst am 24. Mai 1963 und erklärt, dass das wirtschaftliche Wachstum im statistischen Durchschnitt der EWG-Staatengruppe keineswegs dem Zusammenschluss zu verdanken sei. Zwar habe die wirtschaftliche Integration zu diesem Wachstum beigetragen, den Ausschlag aber habe die Wachstumskraft einzelner Länder – vor allem Frankreichs, Italiens und der Bundesrepublik – gegeben. Der Einspruch des ifo gegen eine vor allem in der Politik verbreitete generell positive Einschätzung der Wirkungskraft der neuen Wirtschaftsgemeinschaft basierte auf eigenen Erhebungen des Instituts, das sich hier mit faktenbasierten Argumenten in die öffentliche Debatte einmischt. Noch heute sind die Entwicklungen und Politikentscheidungen in der EU ein strategisch wichtiges Feld für das ifo Institut und für die politische Plattform EconPol.
Meilenstein
Die Finanzkrise: Der Kollaps von 2008
Die internationale Finanzkrise von 2008 entstand aus einer nationalen Immobilienkrise in den USA. Jahrelang waren dort die Preise für Immobilien gestiegen, während sich die Zinsen auf niedrigem Niveau bewegten. US-amerikanische Banken vergaben riskante Kredite an Privathaushalte, wodurch die Nachfrage immer weiter angeheizt wurde. Als die Kreditzinsen stiegen, weil die amerikanische Zentralbank Fed die Leitzinsen erhöhte, platzte die Blase. Wegen ausfallender Zahlungen gerieten Banken in eine Liquiditätskrise, die binnen kurzer Zeit das internationale Finanzsystem sowie weite Bereiche der Realwirtschaft erfasste.
Ansteckung durch Subprime-Kredite
1990 bis 2006 erfuhr der US-Immobilienmarkt einen beispiellosen Boom. Ende 2005 stieg die Inflation. Um gegenzusteuern, hob die US-Notenbank die Zinsen an. Innerhalb kurzer Zeit war ein Überangebot an Immobilien auf dem US-Markt, weil einkommensschwache Haushalte, deren Verträge variable Verzinsung vorsah, ihre Kredite nicht mehr bedienen konnten. Die nicht genügend besicherten Kredite ("subprime loans") lagen in den Bilanzen vieler Banken und hatten sich weltweit im Finanzsystem verbreitet. Durch den Preissturz an den US-Immobilienmärkten verloren diese Assets dramatisch an Wert und das Finanzsystem kollabierte.
Bailouts und die Lehman Insolvenz
Die US-Investmentbank Lehman Brothers wurde zum Sinnbild der Finanzkrise. Nachdem die Bush-Regierung und die FED bereits drei große Finanzdienstleister gerettet hatten (Bear Stearns, Freddie Mac, Fannie Mae), wurde entschieden, Lehman nicht zu stützen. Ein Käufer fand sich nicht, Lehmann ging in die Insolvenz. Kurze Zeit später geriet auch das Versicherungsunternehmen American International Group (AIG) in Turbulenzen. Um einen vollständigen Kollaps der Finanzwirtschaft zu verhindern, stuften Fed und Finanzministerium die AIG als systemrelevant ein und retteten den Konzern. Außerdem musste die amerikanische Regierung ein Hilfspaket mit Garantien in Höhe von 700 Mrd. US-Dollar auf den Weg bringen, um eine Katastrophe zu verhindern.
Die Krise wird zum Flächenbrand. Im Oktober 2008 verkündete Island als erstes Land den Staatsbankrott. Einen Monat später einigten sich die G-20-Staaten in Washington auf gemeinsame Maßnahmen zur Überwindung der Weltwirtschaftskrise und auf eine grundlegende Reform der Finanzmärkte. Im April 2009 wurde auf einem G-20-Gipfel in London die stärkere Kontrolle von Finanzinstituten beschlossen, um Auswüchse zu verhindern, wie sie 2007 zur Hypothekenkrise geführt hatten.
Deutsche Steuergelder für Bankenrettung
In Deutschland garantierte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück den Bürger*innen die Sicherheit ihrer Spareinlagen. Mit Hilfe von Milliardenzuschüssen rettete die Bundesregierung die Hypo Real Estate Bank vor der Zahlungsunfähigkeit. Die Finanzminister der EU verständigten sich darauf, sogenannte systemrelevante Finanzinstitute mit Geldern der Gemeinschaft vor dem Untergang zu bewahren. Am 18. Oktober 2008 verabschiedete der Bundestag das Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG). Der Finanzmarktstabilisierungsfonds (FMS) verfügte über 480 Mrd. Euro, um Banken wieder die Erfüllung von Verbindlichkeiten und den Wiederaufbau von Liquidität zu ermöglichen. Als erste Banken nahmen nach der Hypo Real Estate die Bayerische Landesbank, die HSH Nordbank sowie die Commerzbank diesen Fonds in Anspruch.
ifo Standpunkt zur Risikoverteilung
Die Finanzkrise von 2008 schürte Ängste, gierige Spekulanten könnten die Weltwirtschaft mit waghalsigen Aktionen in den Abgrund reißen. Hans-Werner Sinn, 1998 bis 2016 Präsident des ifo Instituts, präsentierte 2009 in seinem Buch „Kasino-Kapitalismus“ auf wissenschaftlicher Grundlage eine differenziertere Position. Er sieht in der Risikobereitschaft zunächst einmal den Motor für Innovation und gesellschaftliche Entwicklung. Risiken sind erst dann kritisch zu betrachten, wenn sie auf Dritte ausgelagert werden. Wenn man die Folgen auf andere Kapitalgeber abwälzen kann, ist die Versuchung groß, extreme finanzielle Risiken einzugehen. Solange Gewinne fließen, wird sich niemand beschweren. Wendet sich aber das Blatt, muss der Staat marode Banken vor dem Ruin bewahren – auf Kosten der Steuerzahlenden.
Meilenstein
Die Kriege in der Ukraine und in Nahost
Eine Periode des Friedens in Europa nahm im Februar 2022 ihr Ende als russische Truppen auf ukrainisches Staatsgebiet vordringen. Die militärische Invasion verändert die wirtschaftliche und politische Lage dramatisch. Europa hat plötzlich einen Krieg vor der Haustür und muss seine Energieversorgung umstellen. Im Oktober 2023 flammt ein weiterer Konflikt auf: Militante Palästinenser der Terror-Organisation Hamas dringen vom Gazastreifen aus in israelisches Staatsgebiet ein. Diese Invasion beantwortete Israel militärisch aufs Härteste. Die geoökonomischen Folgen beider Kriege sind Gegenstand der ifo Forschung.
*Letzte Änderungen am Text wurden am 19. April 2024 vorgenommen. Er umfasst keine Entwicklungen und Ereignisse nach diesem Datum.
Folgen des russischen Angriffskrieges
In der Ukraine hat der Krieg die Wirtschaft massiv beschädigt. Der Umfang der Kriegsschäden wird von der Weltbank im Frühjahr 2023 auf 411 Mrd. US Dollar geschätzt. Die Ukraine selbst kalkulierte ihren Finanzbedarf für einen Wiederaufbau zu dieser Zeit sogar auf 750 Mrd. US-Dollar. Es wurde und wird in enormen Ausmaß Infrastruktur vernichtet, der private Konsum brach ein, der ukrainische Außenhandel kam zeitweise durch die russische Blockade der Häfen zum Erliegen. Nothilfeprogramme verschiedener Institutionen wurden bereitgestellt, um das Nötigste zu reparieren. Das Ausland, auch Deutschland, unterstützt die Ukraine mit Waffenlieferungen in erheblichem Ausmaß. 13,7 Mio. Ukrainer*innen mussten nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks UNHCR aus ihrer Heimat fliehen, von denen ungefähr 6,4 Mio. inzwischen wieder zurückgekehrt sind. Das ifo Institut befragte in mehreren Wellen ukrainische Geflüchtete nach ihren Motiven ihr Heimatland zu verlassen, sich in anderen Ländern niederzulassen und welche Faktoren für eine Integration im Ausland oder eine Rückkehr in die Ukraine eine Rolle spielten.
Standort Deutschland leidet
Durch den Ukraine-Krieg sind die Gas- und Rohstoffpreise in Deutschland immens gestiegen, zeitweise um fast 90%. Mit dem Anstieg der Gaspreise verteuerte sich auch die Stromproduktion. Das traf die chemische Industrie in Deutschland besonders hart, weil sie zu den energieintensiven Zweigen des Verarbeitenden Gewerbes gehört. Sie beansprucht rund 9% des deutschen Energieverbrauchs. Gemäß einer Umfrage des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) waren im Mai 2022 70% der Chemie-Unternehmen in ihren Produktionsprozessen durch die hohen Energiepreise schwer oder sehr schwer betroffen. Bislang ist kaum Erholung in Sicht. Das ifo Geschäftsklima für die chemische Industrie befindet sich seit Mitte 2022 im negativen Bereich. Als Konsequenz drohen Rückgänge in der Produktion oder sogar Auslagerungen von Produktionskapazitäten ins Ausland.
Sanktionen mit begrenzter Wirkung
Als Reaktion auf den russischen Überfall beschloss die EU mit ihren Partnern die weitreichendsten Sanktionen ihrer Geschichte: unter anderem die Abkoppelung Russlands von den internationalen Finanzströmen, umfassende Import- und Exportverbote und die Schließung des EU-Luftraums für russische Flugzeuge. Sie zeigen Wirkung: Die EU-Exporte nach Russland sind laut einer ifo Studie seit Beginn des Kriegs in der Ukraine im Frühjahr 2022 auf 37 Prozent des Vorkriegsniveaus zurückgegangen.
Allerdings deuten die Daten auch darauf hin, dass die Sanktionen umgangen werden, insbesondere bei der Versorgung mit Kriegsgerät. Untersucht wurden Güter, die kritisch für die russische Wirtschaft oder wichtig für die Militärindustrie sind, wie Fahrzeuge, Kugel- und Rollenlager. Armenien, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisistan und die Türkei haben im Jahr 2022 50mal mehr Güter nach Russland exportiert, die kritisch für die russische Wirtschaft oder wichtig für die Militärindustrie sind, als sie 2019 an allgemeinen Gütern in alle Zielländer exportiert haben.
Der Angriff auf Israel und seine Folgen
Hunderte israelische Bürger*innen wurden als Geiseln verschleppt. Massive israelische Vergeltungsschläge haben das Ziel, die Hamas für immer auszuschalten. Seit Monaten toben schwere Kämpfe im Gazastreifen. Beide Seiten müssen zahlreiche Todesopfer beklagen. Die fortwährenden Angriffe verschlechtern dramatisch die humanitäre Situation der dortigen Zivilbevölkerung.
Darüber hinaus gibt es weltweit Befürchtungen, dass sich der Konflikt im Nahen Osten zu einem Flächenbrand ausweitet, sollten die USA oder der Iran militärisch eingreifen. ifo-Präsident Clemens Fuest: „Deshalb ist es eine fragile Situation, vor deren Hintergrund die wirtschaftlichen Risiken steigen“. Der Nahost-Konflikt könnte nach der Einschätzung des ifo Instituts die Konjunkturentwicklung in Deutschland erneut bremsen. Gerade Deutschland, das von einer starken Vernetzung mit internationalen Handelspartnern geprägt ist, zeigt sich für solche Krisen anfällig. Das gilt speziell für den deutschen Industriesektor, der bereits wegen der durch Russlands Angriffskrieg verursachten Energiekrise stark in Mitleidenschaft gezogen worden war.
Meilenstein
Die Wiedervereinigung und ihre wirtschaftlichen Folgen
„Durch eine gemeinsame Anstrengung wird es uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt.“ Das versprach Bundeskanzler Helmut Kohl 1990. Doch auch 30 Jahre nach dem Mauerfall lag die Wirtschaftskraft Ostdeutschlands deutlich unter Westniveau. Die Niederlassung Dresden des ifo Instituts begleitet den Strukturwandel seit 1993.
Die wirtschaftliche Wiedervereinigung
Nach dem Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 wurde im Juli 1990 der Staatsvertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion unterzeichnet. Dieser bildete die Grundlage für die ökonomische Zusammenführung Deutschlands. Die D-Mark war nun offizielles Zahlungsmittel im ganzen Land, die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft galten auch in den neuen Bundesländern. Diese umfassende Integration setzte die ostdeutschen Betriebe unter enormen Anpassungsdruck. Der Treuhandanstalt wurde die Aufgabe übertragen, über 12 000 volkseigene Betriebe zu privatisieren. Bei etwa 3 000 Unternehmen gelang ihr das nicht, sie wurden stillgelegt. Um eine drohende Wirtschaftskrise abzuwenden, beschloss die Bundesregierung 1991 das Förderprogramm „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost“. Außerdem wurde neben anderen Steuererhöhungen der Solidaritätszuschlag auf die Lohn- und Einkommensteuer eingeführt.
Enorme Fortschritte
Die ostdeutsche Wirtschaft war Ende der 1980er Jahre nicht konkurrenzfähig. Der Umtauschkurs der Mark der DDR zur D-Mark war überhöht. Von heute auf morgen war in den ostdeutschen Ländern westdeutsches Recht eingeführt worden. Unter diesem Druck kollabierte die ohnehin schon angeschlagene DDR-Wirtschaft 1990 nahezu vollständig und musste von Grund auf neu aufgestellt werden. „Betrachtet man unter diesem Blickwinkel die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands in den ersten Jahrzehnten nach der Vereinigung, so sind die Fortschritte enorm", meint Joachim Ragnitz, stellvertretender Leiter der ifo Niederlassung Dresden.
Durch den Geburtenrückgang nach der Vereinigung und die massive Abwanderung aus Ostdeutschland hatte sich die dortige Bevölkerung seit 1991 um mehr als 2 Mio. Menschen verringert. Dadurch war die Zahl der erwerbsfähigen Einwohner*innen deutlich gesunken – um mehr als 10%. Die Arbeitslosenquote – lange Zeit lag sie um die 20% – betrug 2018 im Durchschnitt nur noch 7,6%, Ende 2023 bei 7,1%. 2018 war die Wirtschaftskraft um 127% gestiegen, die realen verfügbaren Einkommen immerhin um 62%, und auch die Zahl der Arbeitsplätze je Einwohner im erwerbsfähigen Alter, lag inzwischen wieder über dem Niveau des Jahres 1991.
Vergleich mit dem Westen
Die Menschen in den ostdeutschen Bundesländern verglichen ihre Lage mit dem Westen und waren mit dem Erreichten nicht zufrieden. Die Wirtschaftskraft (gemessen am Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen) lag im Schnitt bei nur knapp 80% des westdeutschen Durchschnittsniveaus, die Löhne ebenfalls. Real hatte das verfügbare Einkommen knapp zu den westdeutschen Bundesländern Bremen und Saarland aufgeschlossen.
„In der öffentlichen Wahrnehmung sind es vor allem vermeintliche Ungerechtigkeiten in der Bezahlung, die für Unmut sorgen", sagt Joachim Ragnitz. Tatsächlich lagen die Medianlöhne (mittleres Einkommen) der Vollzeitbeschäftigten in Ostdeutschland im Jahr 2018 nur bei 79% der westdeutschen Löhne. Dieser Unterschied war aber auch durch weiterhin erhebliche Systemunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland zu erklären: So arbeitete ein etwas größerer Teil der ostdeutschen Beschäftigten in Branchen, die typischerweise ein unterdurchschnittliches Lohnniveau aufwiesen (38,1% im Westen, 42,9% im Osten). Auch die geringere Zahl größerer Unternehmen drückte das durchschnittliche Lohnniveau, da kleinere Betriebe typischerweise auch niedrigere Löhne zahlen.
Politik gegen strukturelle Defizite
30 Jahre nach dem Mauerfall hatte Ostdeutschland die Wirtschaftskraft Westdeutschlands Mitte der 1980er Jahre erreicht. Der Aufholprozess des Ostens wurde weiterhin durch strukturelle Defizite gebremst: weniger Großunternehmen, weniger Unternehmenshauptsitze in Ostdeutschland, weniger qualifizierte Fachkräfte, weniger Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. „Aber angesichts dieser Nachteile Ostdeutschlands im Standortwettbewerb ... ist es eher bemerkenswert, dass Ostdeutschland in den vergangenen Jahren überhaupt mit der Wirtschaftsentwicklung in Westdeutschland hat mithalten können und nicht weiter zurückgefallen ist", erklärt Joachim Ragnitz. „Die allgemeine Stimmung scheint also deutlich schlechter als die individuelle Lage – die Politik wäre deshalb gut beraten, sich nicht zu sehr von (vermeintlichen oder offen artikulierten) Stimmungen leiten zu lassen."
Meilenstein
Doppelt führt besser: Stephanie Dittmer und Clemens Fuest im Podcast
Ist es besser, zu zweit zu führen? Stephanie Dittmer und Clemens Fuest leiten gemeinsam das ifo Institut. In einem Forschungsinstitut müssen ständig Kompromisse zwischen dem Ideal der wissenschaftlichen Freiheit und den administrativen Anforderungen gefunden werden. Dieser Gegensatz wird beim ifo durch ihren gemeinsamen Ansatz strukturell in eine Führungskultur integriert.
Aber wie kann ein Forschungsinstitut wie das ifo neben exzellenter Forschung auch seine Unabhängigkeit von Politik und Gesellschaft sicherstellen? Und welche Leistungsindikatoren sind geeignet, um Mitarbeitende zu führen?
Tania Lieckweg, Beraterin für Strategieentwicklung, Führung und Organisationsentwicklung erklärt, was eine Doppelspitze erfolgreich macht: Sie ermöglicht Dissens, arbeitet mit einer gemeinsamen Strategie und denkt über den reinen Output hinaus.
Dieser Podcast wurde als Teil der Reihe „Die Zukunftsmacher*innen“ von osb international systematic consulting produziert und ist erstmals im Dezember 2023 als „Science Special“ erschienen.
Ausblicke
Ernst Helmstädter – Ökonom und Künstler
In den Fluren des ifo Instituts sind die vielfarbigen Siebdrucke von Ernst Helmstädter (1924–2018) ein auffallender Blickfang. Sie wurden in den 1980er Jahren von Karl Heinrich Oppenländer für das ifo erworben und stellen einen besonderen Bezug zwischen Wirtschaftswissenschaften und Bildender Kunst her. Ernst Helmstädter suchte neben seiner akademischen Karriere die Auseinandersetzung mit ästhetischen Theorien und stieß dabei auf erstaunliche Parallelen.
Wirtschaftswissenschaftliche Karriere
Ernst Helmstädter, geboren 1924 in Mannheim, studierte Nationalökonomie und Soziologie an der Universität Heidelberg, wo er 1956 promovierte. Nach seiner Tätigkeit im Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle nahm er 1961 eine Position als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Bonn an. Dort habilitierte er sich 1965. 1969 folgte Helmstädter einem Ruf an die Universität Münster, wo er als Professor für Volkswirtschaftslehre tätig war und das Institut für Industriewirtschaftliche Forschung sowie die Forschungsstelle für allgemeine und textile Marktwirtschaft leitete. Er engagierte sich in der akademischen Selbstverwaltung und Kulturförderung und war nach seiner Emeritierung 1989 fast zehn Jahre lang Leiter des Senatsausschusses für Kunst und Kultur in Münster. Helmstädter war bekannt für seine Forschung in den Bereichen Wachstums- und Strukturforschung sowie der Verteilungstheorie. Unter seinen vielen Publikationen ist besonders sein zweibändiges Lehrbuch „Wirtschaftstheorie“ hervorzuheben. Er war von 1983 bis 1987 Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Helmstädter und die Op-Art
Op-Art, kurz für Optical Art, ist eine Kunstrichtung, die auf symbolische Bedeutungen und erzählerische Inhalte verzichtet. Die Kunst der Op-Art steht für sich selbst und entfaltet ihre Wirkung durch Form, Farbe und Struktur. Sie verwendet geometrische Formen sowie kontrastreiche Farben und Muster, um die Illusion von Dreidimensionalität, Bewegung und Vibration zu erzeugen. Die Künstler setzten sich mit neuesten theoretischen Erkenntnissen und Technologien auseinander, verwendeten strenge Kompositionsregeln, bedienten sich äußerst präziser Techniken und sahen ihre Kunst als ästhetischen Beitrag zur Wahrnehmungstheorie.
Die Ausstellung „The Responsive Eye“, die 1965 im Museum of Modern Art (MoMA) in New York stattfand, gilt als der Beginn der Op-Art. Diese Ausstellung, kuratiert von William C. Seitz, zeigte Werke von Künstlern wie Victor Vasarely, Bridget Riley und Richard Anuszkiewicz. Sie brachte die Prinzipien und Techniken der Op-Art einem breiten Publikum näher und etablierte sie als wichtige Kunstrichtung in der modernen Kunst.
Entscheidend für die künstlerische Entwicklung von Ernst Helmstädter war ein Forschungsaufenthalt an der Harvard University im Jahr 1969. Hier intensivierte sich seine Auseinandersetzung mit den Werken der Bildenden Kunst und er lernte die Künstler und Werke der damals besonders in New York populären Op-Art kennen. Neben der Kunst von Victor Vasarely und Bridget Riley beeindruckten ihn besonders die Werke von Josef Albers, einem wichtigen Wegbereiter der Op-Art.
Künstlerische Karriere
Helmstädters Werke spielen mit der Wahrnehmung des Betrachters und erzeugen durch komplexe Muster und Strukturen dynamische visuelle Effekte. Dabei reflektiert er in seinen Werken die Ambivalenz in der Wahrnehmung von Bildern. Um seine visuellen Konzepte umzusetzen, bevorzugte Helmstädter präzise gearbeitete Collagen und den Siebdruck für Auflagenwerke. Sein künstlerisches Schaffen wurde in verschiedenen Ausstellungen präsentiert, darunter in New York, Montreal und Wien.
Kunst und Wirtschaftswissenschaft im Werk von Ernst Helmstädter
Die dynamischen Effekte, die in der Op-Art so zentral sind, spiegeln sich auch in Ernst Helmstädters wissenschaftlicher Arbeit wider. In der Op-Art geht es darum, durch visuelle Illusionen Bewegung und Veränderung, also Dynamik, zu simulieren, was die Wahrnehmung des Betrachters ständig herausfordert. Helmstädter beschäftigte sich in seiner wirtschaftswissenschaftlichen Forschung insbesondere mit dynamischen Prozessen in der Wachstums- und Strukturforschung sowie in der Verteilungstheorie. Er betonte dabei die Ambivalenz in der Interpretation von Daten. Dass diese Ambivalenz auch in der Wahrnehmungstheorie der Zeit untersucht wurde und sich diese Theorien in den Kompositionen der Op-Art widerspiegelten, faszinierte ihn und inspirierte ihn zu seinem eigenen künstlerischen Werk.
Menschen
Fahrverbote für Autos. Talfahrt für die Wirtschaft – Die Ölkrisen
Im Herbst 1973 reduzierten arabische Ölstaaten als Reaktion auf den Jom-Kippur-Krieg ihre Fördermengen und erhöhten den Ölpreis, der auf dem Markt um das Vierfache stieg. Deutschland, extrem abhängig von den Lieferungen, erlebte bis dahin unbekannte Einschränkungen des täglichen Lebens. Am 25. November 1973 und an drei weiteren Sonntagen galt für den Großteil der Bevölkerung ein Fahrverbot.
Der Nahost-Konflikt und das Öl Embargo
Ägypten und Syrien griffen am 6. Oktober 1973, dem jüdischen Feiertag Jom Kippur, Israel an. Dank amerikanischer Waffenlieferungen konnte eine militärische Niederlage abgewendet werden. Unter dem Druck der USA, der Sowjetunion und der UNO wurde Ende Oktober ein Waffenstillstand vereinbart. Die arabischen Ölstaaten reagierten mit Unverständnis. Sie warfen den westlichen Industrienationen eine einseitige Unterstützung Israels vor und entschieden, ihre Ölvorkommen als Druckmittel im Kampf für die Rechte der Palästinenser*innen zu verwenden.
Am 16. Oktober kamen die Länder des Persischen Golfes überein, den Preis für das begehrte Rohöl „Arabian Light" um 70% zu steigern. Die übrigen Mitglieder der OPEC (Organization of the Petroleum Exporting Countries) zogen mit. Am 17. Oktober trat ein begrenzter Lieferboykott in Kraft, die Produktion wurde monatlich um 5% verringert. Das Embargo zielte auf die USA und auf die Niederlande, schließlich war Rotterdam der wichtigste Umschlagplatz im europäischen Öl-Handel.
Erdöl stellte für die westlichen Industrienationen die wichtigste Energiequelle dar, seit Jahren war die Nachfrage gestiegen. Allein in der Bundesrepublik Deutschland wurde für 55% des Energiebedarfs importiertes Rohöl eingesetzt, davon stammten 75% aus den arabischen Ländern. Infolge der Ölkrise wurden Heizöl und Benzin in kurzer Zeit erheblich teurer. Die Regierung verordnete Sparmaßnahmen und wollte gleichzeitig mit gutem Beispiel vorangehen: Bundesbehörden sollten weniger heizen und bei der Beleuchtung sparen, für Fahrzeuge des Bundes wurde ein Tempolimit festgelegt. Doch deutsche Normalbürger*innen wollten sich in ihrer Mobilität nicht einschränken lassen, der Benzinverbrauch ging nicht wie erhofft zurück.
Der nächste Schritt
Anfang November 1973 ließ Bundeskanzler Willy Brandt im Eilverfahren das Energiesicherungsgesetz beschließen. Darin wurde unter anderem festgelegt: „Die Benutzung von Motorfahrzeugen kann nach Ort, Zeit, Strecke, Geschwindigkeit und Benutzerkreis sowie Erforderlichkeit der Benutzung eingeschränkt werden". Damit waren die gesetzlichen Voraussetzungen für den autofreien Sonntag geschaffen – oder, mit weniger freundlichen Worten, für das Sonntagsfahrverbot. Es galt zunächst an vier Sonntagen im November und Dezember. Darüber hinaus wurde eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen festgelegt. Ausnahmegenehmigungen gab es nur für Personengruppen wie Polizist*innen, Ärzt*innen, Blumenhändler*innen, Journalist*innen und Taxifahrer*innen.
Kritische Stellungnahme aus dem ifo Institut
Die Abhängigkeit der der westlichen Industriestaaten von Ölimporten und die daraus resultierende Gefahr, die politische Konflikte in Nahost für die wirtschaftliche Zukunft bedeuteten, hatte das ifo Institut schon im August 1973, also vor Ausbruch des Jom-Kippur Krieges, thematisiert. Hildegard Harlander vom ifo Institut hatte Gründe und Ausmaß der Abhängigkeit Westdeutschlands dargestellt und interessante Zukunftsperspektiven für die Gewinnung neuer Energiequellen entwickelt. Im Februar desselben Jahres hatte sie sich eingehend mit der im Jahr zuvor veröffentlichten Club-of-Rome-Studie „Die Grenzen des Wachstums“ beschäftigt. Sie schlägt eine Energieplanung vor, die das „ökologisch zulässige Ausmaß der Energieproduktion“ berücksichtigen und Energieeinsparungsziele formulieren muss.
Das Ende des Ölkriegs – und des deutschen Wirtschaftswunders
Zum Jahresende 1973 beruhigte sich die Lage im Nahen Osten. Die OAPEC-Staaten einigten sich darauf, die Ölproduktion wieder anzukurbeln, hielten jedoch an den Preiserhöhungen fest. In Deutschland entfiel das für 1974 vorgesehene Fahrverbot, das Tempolimit wurde im März abgeschafft. Die deutsche Wirtschaft war jedoch weiter mit den Folgen der Ölkrise konfrontiert. 1974 zahlte die Bundesrepublik für Ölimporte 23 Mrd. DM, eine Steigerung um fast 153% gegenüber dem Vorjahr. Der Pkw-Verkauf verzeichnete dramatische Rückgänge, die Automobilindustrie meldete Kurzarbeit an. Ähnlich deprimierend präsentierte sich die Lage bei den Baustoffherstellern, in der chemischen Industrie und bei der Eisen- und Stahlproduktion. Die Arbeitslosenzahl überschritt 1975 die Millionengrenze.
Die zweite Ölkrise und der Regierungswechsel
Nach dem Sturz von Schah Reza Pahlavi im Januar 1979 verwandelte sich der Iran unter Ajatollah Ruholla Chomeini in eine Islamische Republik. Die politischen Turbulenzen führten zu Förderausfällen bei Rohöl, die Preise stiegen 1981 auf 619 DM je Tonne. Nun mussten 4,85% des BIP für Energieimporte bezahlt werden. Die deutsche Volkswirtschaft schlitterte in eine Rezession, 1983 waren erstmals mehr als 2 Mio. Menschen arbeitslos. Die Preise stiegen, der Sozialstaat wurde beschnitten. 1982 beschloss die Bundesregierung aus SPD und FDP Beitragserhöhungen und Leistungskürzungen der Sozialversicherung. Außerdem wurde die Anzahl der Unterstützungsberechtigten für die Arbeitslosenversicherung eingeschränkt. Sogar das Kindergeld für das zweite und dritte Kind wurde um jeweils 20 DM gekürzt.
Die FDP sah die Lösung der wirtschaftlichen Probleme in einer weiteren Reduzierung der sozialstaatlichen Leitungen. Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff und Außenminister Hans-Dietrich Genscher traten außerdem dafür ein, dass der Staat deutlich weniger als bisher in das Marktgeschehen eingreifen sollte. Im Herbst 1982 näherten sich die Liberalen der CDU an. Am 1. Oktober verlor Bundeskanzler Helmut Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum sein Amt. Mit den Stimmen der FDP wählten die Unionsparteien den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl zum neuen Bundeskanzler. Noch im Dezember 1982 wurden für den März 1983 Neuwahlen beschlossen. Die Koalition aus CDU/CSU und FDP entschied sie mit deutlicher Mehrheit für sich.
Meilenstein
Fördern und fordern: Die Hartz-Reformen
„Agenda 2010“ nannte man die von der rot-grünen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder umgesetzten Maßnahmen, mit denen die Konkurrenzfähigkeit deutscher Unternehmen auf dem Weltmarkt verbessert werden sollte. Wichtiger Baustein in diesem Programm war die Neuregelung der Sozialleistungen für Erwerbslose, die am 1. Januar 2005 in Kraft trat und umgangssprachlich nach Peter Hartz benannt wurde, der das Konzept für diese Reform entwickelt hatte.
Ziel: Belebung des Arbeitsmarktes
Das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ verband die Leistungen der Arbeitslosenhilfe mit denen der Sozialhilfe und führte zu einem deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Von der damit einhergehenden Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung profitierten Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen zugleich.
Das Gesetz regelte die wirtschaftliche Grundsicherung für arbeitslose Erwerbsfähige, die über kein ausreichendes Einkommen verfügten und auf kein Vermögen zurückgreifen konnten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Gleichzeitig sollte aktiv die Rückkehr ins Arbeitsleben betrieben werden. Der Staat half mit gezielten Vermittlungsangeboten von freien Stellen und unterstützte berufliche Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Wer diese Angebote nicht annehmen wollte, musste eine Kürzung seiner Bezüge in Kauf nehmen. Fördern und fordern, so lautete der Leitgedanke.
So entstanden die Hartz-Reformen
Peter Hartz, Gewerkschafter, Sozialdemokrat und von 1993 bis 2003 Personalvorstand der Volkswagen AG, leitete eine Kommission, die im Auftrag der Bundesregierung Vorschläge für eine Arbeitsmarktreform in Deutschland erarbeitete. Die dabei entwickelten Konzepte wurden von 2002 bis 2004 in vier Phasen, von Hartz I bis Hartz IV, in die Tat umgesetzt. Ziel dieser Maßnahmen war es, die Zahl der Arbeitslosen und damit auch die Sozialausgaben zu senken, außerdem sollte der Versuchung vorgebeugt werden, die Arbeitslosenunterstützung als bequeme Alternative zur Erwerbsarbeit zu missbrauchen. Mit Erwerbsarbeit sollte man auf jeden Fall mehr Geld verdienen können als durch staatliche Leistungen, die im Zuge der Reformen massiv reduziert wurden. Entsprechend sah sich der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder heftigen Widerständen von Gewerkschaften und Sozialverbänden ausgesetzt.
ifo mit Blaupause für Reformen
Im Mai des Jahres 2002 wurde im ifo Institut eine Studie zur Aktivierenden Sozialhilfe vorgestellt. Hier heißt es, dass der Sozialstaat oft nicht soziale Gerechtigkeit als Gegengewicht zum Markt herstellt, sondern teils zu sichtbaren Defekten des Arbeitsmarkts beiträgt. Als besonders problematisch wurde dabei die damalige Sozialhilfe eingeschätzt, weil sie eine feste Lohnuntergrenze in das Tarifsystem einzog. Ebenso wenig, wie kaum jemand bereit sei, zu einem Lohn unterhalb der Sozialhilfe zu arbeiten, könnten Unternehmen Löhne zahlen, die höher ausfielen als die geleistete Wertschöpfung. Arbeitslosigkeit im Niedriglohnbereich sei die Folge. Der Vorschlag: Nicht hinreichende Einkommen sollten durch staatliche Lohnergänzungsleistungen ausgeglichen werden. Bedingung hierfür sei, dass je nach Leistungsfähigkeit Arbeiten angenommen werden müssten. Ein Rückzug aus dem regulären Arbeitsmarkt würde unmöglich. Diese Veränderungen machten es für Unternehmen und private Haushalte attraktiv, neue Jobs zu schaffen. Einige Grundzüge der Hartz-Reformen waren mit diesem Vorschlag des ifo Instituts vorformuliert.
Aus der Steuer finanziert: Das Arbeitslosengeld II
Die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II (ALG II) war die entscheidende Neuerung im Rahmen von Hartz IV. Damit sollten die Systeme der sozialen Sicherung an die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse angepasst werden.
Das Solidaritätsprinzip der deutschen Sozialversicherung stieß Ende des 20. Jahrhunderts an seine Grenzen: Die durch steigende Arbeitslosigkeit vermehrten Defizite der sozialen Sicherungssysteme konnten nicht unbegrenzt durch Steuereinnahmen ausgeglichen werden. Hartz IV führte eine einheitliche, steuerfinanzierte Grundsicherung für Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger ein, das Arbeitslosengeld II. Es entlastete die Beitragszahlenden, die das nach den bisherigen Regeln ausbezahlte Arbeitslosengeld I finanzierten.
Dringende Reformen
Der Ruf nach Reformen von Hartz IV wurde in den folgenden Jahren immer lauter. Umstritten waren etwa die Höhe der Leistungen, das System der Sanktionen oder die Zumutbarkeit von Stellen, die den Arbeitslosen angeboten wurden. Das ifo Institut begleitete diese Debatten in umfangreichen Stellungnahmen und legte im Februar 2019 ein eigenes Reformkonzept vor, das 2021, nach den Beschlüssen der Ampelkoalition zu einer Reform von Hartz IV, noch einmal diskutiert wurde.
Aus Sicht des ifo Instituts gilt es, Fehlanreize zu vermindern. Menschen, die Grundsicherung beziehen, dürften nicht mehr davon abgehalten werden, Arbeiten mit höheren Einkommen anzunehmen, um damit aus eigener Kraft die Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung zu verringern. Außerdem muss verdeckte Armut als solche erkannt werden. Wer andere Transferleistungen wie Wohngeld oder Kinderzuschlag in Anspruch nähme, gilt nicht mehr als Hartz-IV-Empfänger und verschwindet aus der Statistik, ohne dass ihm mehr Geld zur Verfügung steht.
Zum 1. Januar 2023 wurde in Deutschland das Bürgergeld eingeführt, die Hartz-IV-Ära ging zu Ende.
Meilenstein
Freiraum für Forschung: Das Adolf-Weber-Haus
Schon nach dem Umzug in die Poschingerstraße 5 im Jahre 1952 wuchs mit der wissenschaftlichen Bedeutung auch der Raumbedarf des Instituts. 1961 waren die Erweiterungen des Hauptgebäudes abgeschlossen, 1963 konnte in der näheren Nachbarschaft das Anwesen Mauerkircherstraße 43 erworben werden. Aber noch immer herrschte Raumnot, nicht zuletzt weil sich die ifo-Bibliothek zu einer der größten außeruniversitären Fachbibliotheken in Bayern entwickelte.
Ende 1965 sagte die Stiftung Volkswagenwerk ihre finanzielle Unterstützung beim Bau zusätzlicher Bibliotheks- und Büroräume zu. In seiner Sitzung am 11. Januar 1966 gab der ifo Vorstandsrat grünes Licht für die Planungen.
Vom Gartenhaus zum Hort der Wirtschaftswissenschaft
Seit 1951 ist das ifo Institut im Besitz der Villa Heymel in der Poschingerstraße 5. Das dazugehörige Grundstück war groß genug, um an der Stelle des Gartenhauses ein wesentlich größeres Bürogebäude zu errichten. Als Flächenbedarf belief sich auf knapp 1.500 Quadratmeter, von der die Hälfte auf die Bibliotheksräume entfielen – inklusive Magazinräumen, Präsenzbibliothek, Leseplätzen sowie Arbeitsräumen für wissenschaftliche Gäste. Außerdem wurden 45 Büroräume geplant. Ein überdachter Gang sollte den Neubau mit dem Hauptgebäude verbinden. Die Bauvorschriften verlangten eine Tiefgarage mit 40 PKW-Stellplätzen.
Nachbarschaftsstreit und ein Vergleich
Weil einige Nachbarn gegen die Baugenehmigung Widerspruch eingelegt hatten, verzögerte sich der Beginn der Arbeiten. Ende 1968 schienen alle juristischen Hindernisse ausgeräumt, als beim Verwaltungsgericht noch einmal Widerspruch eingereicht wurde. Um ein langwieriges Berufungsverfahren zu vermeiden, schloss der ifo Vorstand mit den Nachbarn einen Vergleich. Unter anderem wurde vereinbart, dass das Institut für einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren auf eine weitere Vergrößerung des Gebäudes verzichten würde. ifo-Präsident Karl Maria Hettlage persönlich hatte intensive Gespräche mit den Nachbarn geführt. Im Juli 1969 konnten die ersten Bauarbeiten beginnen. Ende 1969 war der Rohbau weitgehend abgeschlossen, nur ein Jahr nach Baubeginn das neue Gebäude bezugsfertig. Am 12. Oktober 1970 wurde die Einweihung mit Bier und Brezen in der neu eingerichteten Kantine gefeiert. Die Abteilungen Industrie und Publizistik sowie die Bibliothek konnten einziehen.
Auf dem Weg zur digitalisierten Wirtschaftsforschung
Nicht nur die räumlichen Anforderungen, auch die technischen Ausstattungen des ifo Instituts verlangten ab Mitte der 60er Jahre erhebliche Investitionen. Das Ziel: die Effizienz auf allen Arbeitsgebieten kontinuierlich zu steigern. Die Digitalisierung begann ihren Siegeszug in den Büros, die herkömmlichen mechanisch betriebenen Geräte wurden durch neue elektronische Schreib- und Rechenmaschinen ersetzt. Ende der 1960er Jahre hat man neben einer Fernschreibanlage auch Lochkartengeräte angeschafft, die Analyse und Duplikation der Daten erleichterten. Außerdem verbesserte das ifo Institut schrittweise seine Anlagen zur EDV, wodurch der empirischen Forschung ganz neue Möglichkeiten eröffnet wurden.
Wer war Adolf Weber?
Das Gebäude erinnert mit seinem Namen an einen der bedeutendsten deutschen Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Gemeinsam mit Ludwig Erhard legte Weber in den 1940er Jahren die Grundlagen für die angewandte politikorientierte Wirtschaftsforschung in München, auf denen sich das ifo Institut ab 1949 erfolgreich entwickeln konnte. Weber war von 1921 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1948 Inhaber des Lehrstuhls für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität München. Heute beherbergt das Adolf-Weber-Haus in der Poschinger Straße 5 unter anderem das ifo Zentrum für Industrieökonomik und neue Technologien, das ifo Zentrum für Makroökonomik und Befragungen, das LMU-ifo Economics & Business Data Center sowie eine Fachbibliothek.
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Anfänge
Ortsgeschichte
Gebremster Abschwung – Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz
Nach den Wirtschaftswunderjahren machten sich in der Bundesrepublik zum ersten Mal deutliche Zeichen einer Rezession bemerkbar. Deshalb verabschiedete der Deutsche Bundestag am 10. Mai 1967 mit großer Mehrheit das „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“. Die Bundesregierung wollte vier große Ziele erreichen: Vollbeschäftigung, Preisstabilität, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und Wirtschaftswachstum – das sogenannte „magische Viereck". Das ifo Institut unterfüttert die Maßnahmen laufend mit aktuellen Daten.
Die erste Wirtschaftskrise der BRD
Zwischen Herbst 1966 und Sommer 1967 erlebte die Bundesrepublik die erste spürbare Wirtschaftskrise. Die Arbeitslosenquote stieg von 0,7 auf 2,1%. Es gab einen Preisauftrieb, während die Löhne nur wenig stiegen. Die Haushaltslage war prekär, der Abbau von Subventionen und Einschnitte in der Sozialpolitik schienen unvermeidbar. Politische Meinungsverschiedenheiten über die Gestaltung des Bundeshaushalts führten im Oktober 1966 zum Ende der christlich-liberalen Regierung unter Ludwig Erhard. Nach dem Rücktritt Erhards am 30. November übernahm am 1. Dezember 1966 zum ersten Mal eine Große Koalition von CDU/CSU und SPD die Regierungsverantwortung.
Neue Regierung. Neue Wirtschaftspolitik
Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) präsentierte am 13. Dezember 1966 in seiner Regierungserklärung das Programm einer expansiven und stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik. Mit Hilfe von Konjunkturprogrammen und des Stabilitätsgesetzes sollte die Wirtschaftskrise effektiv bekämpft werden. Der neue Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) verschrieb sich einer sogenannten „aufgeklärten Marktwirtschaft“, einer Kombination von Wettbewerb und staatlicher Lenkung. Diese von der Regierung gesteuerte Wirtschaftspolitik stand im Gegensatz zu Ludwig Erhard, der eine freie Marktwirtschaft ohne staatliche Eingriffe vertreten hatte. Die Basis für ein erstes Konjunkturprogramm legte der Bundestag bereits am 23. Februar 1967 mit dem Kreditfinanzierungsgesetz. Es umfasste ein Volumen von 2,5 Mrd. DM. Davon waren 850 Mio. DM für Sofortmaßnahmen reserviert – unter anderem bei der Deutschen Bundesbahn, bei der Deutschen Bundespost und im Straßenbau. Für die dafür benötigten Kredite war eine gesetzliche Ermächtigung notwendig. Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß (CSU) hatte das dafür nötige Kreditfinanzierungsgesetz auf den Weg gebracht. Parallel senkte die Bundesbank die Leitzinsen.
Das ifo evaluiert laufend die Maßnahmen
Bereits einen Tag, nachdem das Kreditfinanzierungsgesetz den Bundestag passiert hatte, fasste der ifo Schnelldienst vom 24. Februar 1967 in seinen „Konjunktur-Perspektiven“ die Lage zusammen: „Die von der Bundesregierung beschlossenen Konjunkturmaßnahmen und die von der Senkung der Bankrate und der Mindestreservesätze auf den Kapitalmarkt ausgehenden Einflüsse lassen noch in diesem Jahr eine Belebung der Investitionstätigkeit erwarten.“
Die vom ifo Institut am 17. März 1967 zusammengestellten Daten des ifo Konjunkturtests, der GfK-Verbraucherbefragung und des Statistischen Bundesamts (BIP) zeigen, dass es noch zu früh war, von einem dauerhaften Stimmungsumschwung zu sprechen. Auch der im Schnelldienst vom 16. Juni 1967 abgedruckte Vortrag von ifo-Vorstandsmitglied Herbert Hahn erklärt lediglich „Die derzeitige konjunkturelle Problematik“. Erst in den letzten Monaten des Jahres 1967 bessern sich, wie von der Politik beabsichtigt, die wirtschaftlichen Aussichten. Der ifo Schnelldienst meldet umgehend diese Veränderung: „Die Nachfrage nach Investitionsgütern stark belebt“ heißt es im November und schließlich, nach Auswertung des Geschäftsklimas im November und Dezember, im letzten Heft des Jahres: „Zum Jahresende 1967 wird die konjunkturelle Situation von der verarbeitenden Industrie wieder überwiegend positiv beurteilt.“
„Ein Tisch auf vier Beinen"
Das Stabilitätsgesetz schreibt vor, dass die Bundesregierung jährlich einen Wirtschaftsbericht vorlegt, der als Grundlage des staatlichen Handelns dient. Außerdem muss alle zwei Jahre ein Subventionsbericht die Entwicklung der Finanzhilfen und Steuervergünstigungen offenlegen. Mit dem Gesetz erreiche man „den Übergang von einer konventionellen Marktwirtschaft zu einer aufgeklärten Marktwirtschaft“, erklärte Wirtschaftsminister Schiller. „Dieses Gesetz im Ganzen ist jetzt nicht mehr ein Tisch, der auf zwei Beinen ruht, sondern es ist ein Tisch, der voll auf vier Beinen steht.“ Die Politik orientiere sich an der rationalen Einsehbarkeit und der rationalen Zusammenarbeit mündiger Menschen, erklärte Schiller.
Gesetz mit Langzeitwirkung
Im Gegensatz zum schwarz-gelben Regierungsentwurf sollte die neue Bundesregierung – und alle folgenden Bundesregierungen – nicht nur eine solide, sondern auch eine konjunkturgerechte Haushaltspolitik verfolgen. Wenn es die Umstände erforderten, stünden dem Bundeskabinett die gesetzlichen Möglichkeiten zur Verfügung, die Wirtschaft je nach konjunkturellen Rahmenbedingungen mit staatlichen Maßnahmen zu belasten oder zu entlasten. Bis zum Ende der Legislaturperiode 1969 ging die Arbeitslosigkeit auf 0,9% zurück. 1970 verzeichnete die Arbeitslosigkeit mit 0,7% noch einmal einen Tiefstwert nahe der Vollbeschäftigung. Aber schon die Ölkrise 1973 zeigte die Grenzen staatlicher Wirtschaftslenkung auf. Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte explodierte, auf die Bildung der Konjunkturausgleichsrücklage musste verzichtet werden.
Seit Inkrafttreten des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes wird mitunter heftig darüber debattiert, wann und in welcher Form die Regierung Maßnahmen einleiten soll, um die Wirtschaft zu lenken. Bei allen unterschiedlichen Standpunkten quer durch alle politischen Parteien: Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz gilt bis heute.
Meilenstein
Gegen Altersarmut — Die Rentenreform von 1957
An einer großen Bevölkerungsgruppe ging das Wirtschaftswunder der 1950er Jahre weitgehend vorbei: an den 4,5 Mio. Rentner*innen. 1957 sah Konrad Adenauer angesichts der anstehenden Bundestagswahl die Chance, mit einer umfassenden Rentenreform eine bisher benachteiligte Generation für seine Politik zu gewinnen. Dass der solidarische Generationenvertrag, Kern dieser Reform, bei sinkenden Geburtenzahlen die Politik vor gewaltige Finanzierungsprobleme stellen und eine Art versteckter Staatsverschuldung aufbauen würde, wurde von den Gegnern der Reform zwar vorgebracht, doch Adenauer soll diese Bedenken mit den Worten „Kinder kriegen die Leute immer“ aus dem Weg geräumt haben. Das ifo Institut beteiligte sich seit der ersten Rentendebatte 1956 bis heute an dieser Diskussion.
Reform tut not
Als Teil der Bismarckschen Sozialgesetzgebung wurde 1889 das Gesetz zur Invaliden- und Altersversicherung eingeführt. Im Alter oder bei Berufsunfähigkeit dienten die zuvor eingezahlten Summen der Grundsicherung. Für den vollen Lebensunterhalt musste auf Ersparnisse zurückgegriffen oder Unterstützung durch die Familie in Anspruch genommen werden. Bis in die Nachkriegszeit blieb dieses kapitalgedeckte Rentensystem in seinen Grundzügen gültig. Eine Anpassung an die steigenden Preise und Löhne fand nicht statt, obwohl viele Menschen im Krieg nicht nur ihre Angehörigen, sondern auch ihre Ersparnisse verloren hatten. Die Rente blieb ihnen als einzige Einkommensquelle. Durch eine Rentenreform sollte den Rentner*innen neue Sicherheit gegeben werden. Doch nach ersten Ankündigungen im Jahr 1953 geschah wenig, die Regierung Konrad Adenauers geriet stark in die Kritik.
Der „Schreiber Plan“
Den Ausschlag für eine große Reform gaben schließlich die Ergebnisse einer vom Bundesinnenministerium beim Statistischen Bundesamt in Auftrag gegebenen Studie zur sozialen Lage der Renten- und Unterstützungsempfänger*innen, die zur Jahreswende 1954/55 veröffentlicht wurde. Eine Erhöhung der Sozialleistungen erschien dringend erforderlich: Der durchschnittliche Nettobetrag der Rentenleistungen lag bei 62,90 DM, das entsprach nur etwa einem Drittel eines durchschnittlichen Lohns und lag damit deutlich unter den Fürsorge-Richtsätzen, also am Existenzminimum.
Einen Plan zur Reform der Rentenversicherung legte neben anderen auch Wilfrid Schreiber vor, der vor dem Krieg als Schriftsteller und Journalist tätig war. Seit 1933 Mitglied der NSDAP, unterstützte er ab 1934 als Rundfunkredakteur die Propaganda der Partei. Nach dem Ende der Diktatur engagierte ihn der Bund Katholischer Unternehmer (BKU) als Berater, außerdem unterrichtete er als Dozent an der Universität Bonn Wirtschaftstheorie, Sozialpolitik und Statistik.
Ein Generationenvertrag
Schreibers Reformentwurf sah eine einheitliche gesetzliche Pflichtversicherung anstelle der selbständigen Invaliden-, Angestellten- und Knappschafts-Rentenversicherungen vor. Entscheidend aber war die Ablösung des bisherigen Kapitaldeckungsprinzips zugunsten eines neuartigen Umlageverfahrens. Der sogenannte Generationenvertrag sah vor, dass jede*r Erwerbstätige einen bestimmten Prozentsatz des Bruttoeinkommens in die Rentenkasse einzahlte, aus der dann die laufenden Rentenleistungen gezahlt wurden. Außerdem schlug Schreiber vor, die Bemessung der Renten neu zu bestimmen. Er entwickelte eine Berechnungsformel, die unter anderem an die allgemeine Lohnentwicklung gekoppelt war. Dieses Prinzip der dynamischen Rente sollte eine spürbare Erhöhung der Sozialleistungen mit sich bringen.
Erbittert geführte Debatten
Die Kontroversen um die Rentenreform 1957 sind als „Rentenschlacht“ in die Geschichte eingegangen. Bereits im Vorfeld waren die Vorschläge im Bundestagsausschuss für Sozialpolitik und in der Öffentlichkeit heftig diskutiert worden. Es ging um Grundsätzliches: Entsprechend lange und leidenschaftlich wurden die Debatten zur zweiten Lesung des Gesetzes geführt. In einem viertägigen Redemarathon diskutierte das Parlament Hunderte Paragrafen und Änderungsanträge. Einzelne Abgeordnete meldeten sich dutzende Male zu Wort. Am Ende stimmte der Bundestag am 21. Januar 1957 der Reform mit großer Mehrheit zu.
Der Union brachte die vor allem von Konrad Adenauer mit Blick auf die baldige Bundestagswahl betriebene Reform den erwünschten Erfolg. Die Erstauszahlung der neuen Rentenbeiträge im April 1957 verband sie geschickt mit einer umfassenden PR-Aktion. Bei der Bundestagswahl im September 1957 erreichte die CDU/CSU die absolute Mehrheit.
Beitrag des ifo zur Rentendebatte
Bereits 1956 erscheint in der Schriftenreihe des ifo Instituts eine Untersuchung „Zur volkswirtschaftlichen Problematik der dynamischen Sozialrente“. Da bedeutende Auswirkungen der anstehenden Rentenreform für die Wirtschaft Westdeutschlands zu erwarten seien, sollten einige grundsätzliche volkswirtschaftliche Probleme erörtert werden. Die Studie plädiert ganz im Sinne von Wilfrid Schreiber für eine möglichst geringe Einwirkung des Staates auf die Rentenentwicklung, die wie geplant automatisch, ohne periodische Überprüfung durch politische Instanzen, an die Lohn- und damit an die Marktentwicklung gebunden sein sollte. Des Weiteren mahnt das ifo Institut in dieser Studie, mit der Reform deutliche Anreize für eine individuelle Altersversorgung zu setzen und mit den einzelnen Maßnahmen stark auf das Bewusstsein jedes Einzelnen einzuwirken, der die Gesetze und damit auch die Grenzen des staatlichen Rentensystems erkennen müsse.
Mit Inkrafttreten der Reform wurde das Leistungsniveau um durchschnittlich 65% angehoben. In den Jahren bis 1969 stieg das Lohnniveau um 115,7%, die Renten wurden um 110,5% erhöht und reichten nun im Allgemeinen aus, den Lebensunterhalt zu sichern. Und verlässlich wurde die Rente auch: Nachdem Wirtschaftskrisen, Kriege und Währungsreformen zuvor noch große Vermögensbestände der Rentenversicherer vernichtet hatten, wurde das System durch den Wechsel zum Umlageverfahren nun sicherer.
Meilenstein
Hervorragend: CESifo Mitglieder mit Nobelpreisen
Heute, 25 Jahre nach seiner Gründung, ist das CESifo Netzwerk eines der größten wirtschaftswissenschaftlichen Netzwerke der Welt. Internationale Forscher*innen treffen regelmäßig in München und der ganzen Welt zusammen, um miteinander ihre Perspektiven zu teilen und einen anderen Blick auf ihre Forschungsprobleme zu erhalten. Die Qualität dieses Netzwerks zeigt sich besonders an der Exzellenz der Personen, die es bilden: 13 der inzwischen über 2 000 Mitglieder wurden im Laufe der Jahre von der Königlich Schwedischen Akademie mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Ein Überblick.
Die Frau am Arbeitsmarkt
Sie ist erst die dritte Frau, die den begehrten Wirtschafts-Nobelpreis erhält. Und das für ihre Arbeit in einem Forschungsfeld, das lange Zeit ebenfalls wenig Beachtung erfuhr. Claudia Goldin, Henry Lee Professor of Economics an der Harvard Universität, Wirtschaftshistorikerin und Arbeitswissenschaftlerin, stellt seit Jahrzehnten die Geschichte der Frau am Arbeitsmarkt in den Fokus ihrer Forschung und zeigt Ungleichheiten in Lohn, Familienstrukturen oder Bildung auf. Wie erging es Frauen im 18. Jahrhundert? Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus für heute ableiten? Für ihre umfassenden Einblicke verliehen ihr die Juror*innen 2023 den Nobelpreis. Bereits seit 2022 ist Claudia Goldin Mitglied im CESifo Netzwerk und eine von sechs CES Fellows, die diese begehrte Auszeichnung entgegennehmen durften.
Erfolge und Misserfolge am Arbeitsmarkt
Seit 2024 ist David Card Mitglied im CESifo Netzwerk. Drei Jahre zuvor erhielt er anteilig den Wirtschaftsnobelpreis, die andere Hälfte teilen sich Joshua Angrist und Guido Imbens. Die Königlich Schwedische Akademie würdigte seine Arbeit im Bereich der empirischen Arbeitsökonomie. Mit seinen experimentellen Forschungsmethoden gelang es Card beispielsweise zu belegen, dass eine Anhebung des Mindestlohns nicht wie zuvor angenommen zu weniger Arbeitsplätzen führt. Er beschäftigt sich mit zentralen und lebensnahen Fragestellungen: Warum haben Menschen Erfolg oder Misserfolg am Arbeitsmarkt? Welche Faktoren bewirken Lohnungleichheiten? Angesichts seiner zahlreichen Publikationen und Erkenntnisse ist es erstaunlich, dass David Card ursprünglich Physik studierte und erst spät zu Wirtschaftsforschung wechselte.
Früh sensibilisiert für Armut und Hunger
Als zweite Frau der Geschichte würdigte die Königlich Schwedische Akademie ein weiteres CESifo Mitglied mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Esther Duflo erhielt die Auszeichnung 2019 gemeinsam mit Abhijit Banerjee, ihrem Ehemann, und Michael Kremer. Damit ist sie bislang die jüngste Ökonomin, der diese Ehre zuteil wurde. Ihre Fachgebiete liegen vor allem in der Entwicklungs- und Sozialökonomie. Bereits ihre Mutter, die sich als Kinderärztin bei Hilfsorganisationen engagierte, sensibilisierte die Französin für die Themen Armut, Hunger und soziale Ungleichheit. Da wirkt es beinahe schicksalshaft, dass sie den Nobelpreis ausgerechnet für ihren Beitrag zur Armutsforschung erhalten sollte. Gemeinsam mit ihren Mitforschenden testet Duflo seit den 1990er Jahren in Feldexperimenten effektive Methoden, die globale Armut zu bekämpfen. Seit 2013 schon bereichert Esther Duflo das CESifo Netzwerk mit ihrer Expertise und ihrer Erfahrung.
Prinzipien menschlichen Verhaltens
Viele mögen Verträge vor allem als eines sehen: unverständliche Texte und lästige Bürokratie. Der finnische Wirtschaftswissenschaftler Bengt Holmström erkennt in ihnen aber mehr als Klauseln und Regeln. Bereits Ende der 1970er Jahre analysierte er, wie Eigentümer*innen einer Firma optimale Verträge für ihre CEOs, die „Agenten“, formulieren können. Holmströms Untersuchungen tragen entscheidend dazu bei, wie Unternehmen geführt und Gesetze und Institutionen rechtlich strukturiert werden. Er erkennt in der Vertragstheorie entscheidende Prinzipien menschlichen Verhaltens. Daraus leitet er auch ab, welche Anreize und Zwänge wichtig für eine effektive Arbeitsbeziehung sind. Für seine Erkenntnisse zeichnen ihn die Juror*innen 2016 mit dem Nobelpreis aus. Da er der schwedischen Minderheit in Finnland angehört, dürfte er wohl einer der wenigen Laureaten sein, der die Zeremonie in seiner Muttersprache verfolgen konnte. Im selben Jahr trat er dem CESifo Netzwerk bei.
Der nächste „Ritterschlag“
2016 war ein gutes Jahr für Nobelpreisgewinner*innen im CESifo Netz. Neben Bengt Holmström entschieden sich die Juror*innen, den Preis zu gleichen Teilen auch an Oliver Hart und seinen Beitrag über die Vertragstheorie zu verleihen. Der in London geborene Ökonom gehört dem Netzwerk bereits seit dem Gründungsjahr 1999 an. Schon lange davor trug er dazu bei, das Verständnis für Verträge innerhalb und außerhalb des Marktes zu schärfen. Journalist*innen etwa halten an der Überzeugung fest, Hart habe die US-Regierung in ihrem Beschluss beeinflusst, die Verwaltung von Gefängnissen nicht mehr privaten Vertragspartnern zu überlassen. Bestätigt hat der Wirtschaftswissenschaftler dieses Gerücht nie. Nicht nur die Königlich Schwedische Akademie erkennt seine Leistung an. Auch König Charles III. ehrt Oliver Hart 2023 anlässlich seines Geburtstages mit dem „Knight Bachelor“, dem Ritterschlag. Sir Oliver Hart lehrt an der Harvard Universität.
Ausbruch aus der Armut
Macht Reichtum glücklich, fragt der schottische Ökonom Angus Deaton und geht dieser philosophischen Frage mit wirtschaftswissenschaftlicher Expertise nach. Für seine Analyse von Konsum, Armut und Wohlfahrt erhielt er 2015 den Nobelpreis. Als Auszeichnung für sein Lebenswerk bezeichnete das Komitee die Ehrung. Vielleicht hat Deaton gerade deshalb ein geschärftes Verständnis für Bedürftigkeit, weil er selbst in entbehrungsreichen Verhältnissen aufgewachsen ist. Er analysiert das Konsumverhalten von Individuen und wie dieses sich auf die Wirtschaftsentwicklung der Gesellschaft auswirkt. Während seinen Forschungsreisen trifft Deaton immer wieder auf Menschen, die auf erstaunliche Weise Bedürftigkeit hinter sich lassen. Für ihn ein Zeichen, dass der Ausbruch Armut immer möglich ist. Seit 2004 teilt er seine inspirierenden Erfahrungen im CESifo Netzwerk und 2016 machte die Queen ihn zu Sir Angus Deaton.
Der „anwendungsorientierte Theoretiker"
Die Juror*innen in Stockholm zeichneten Arbeitsökonom Peter A. Diamond 2010 für die Entwicklung eines theoretischen Rahmens zu Märkten mit Suchfriktion aus. Mit ihm erhalten auch Dale T. Mortensen und Christopher A. Pissarides den Preis. Dank dieser Modelle ist es möglich, die Zusammenhänge von politischer Regulierung und Arbeitslosigkeit, unbesetzten Stellen und Löhnen besser zu verstehen. Als „anwendungsorientierter Theoretiker“, wie Nobelpreisträger Eric Maskin ihn einst bezeichnete, trugen seine Analyse der Rentenstrukturen zur Reform des US-Systems und zum Neuaufbau des polnischen Rentensystems bei. Dass Peter A. Diamond, seit dem Jahr 2000 Mitglied bei CESifo, den Dingen wirklich auf den Grund gehen will und sich tief in die Materie einarbeitet, zeigt auch die Tatsache, dass er nachträglich noch Rechtswissenschaften an der Harvard Law School studierte. Inzwischen ist Diamond Professor Emeritus am MIT, an dem er von 1966 bis 2011 lehrte.
Der Faktor Mensch
Seine eigene Website beschreibt Edmund S. Phelps Lebenswerk als Projekt, „Leute wie wir sie kennen“ in wirtschaftswissenschaftliche Theorie einzubetten. Was darunter zu verstehen ist, mag zunächst genauso bizarr klingen, wie seine Leistung, die ihm den Nobelpreis 2006 einbrachte. Für „seine Analyse intertemporaler Zielkonflikte in makroökonomischer Politik“ verlieh ihm das Komitee in Stockholm die begehrte Auszeichnung. Bereits in den 1960er Jahren begann er, in diesem Bereich zu forschen. Seine Erkenntnisse widerlegten die Annahme, dass eine hohe Arbeitslosigkeit mit einem niedrigen Inflationsniveau zusammenhänge und umgekehrt. Durch seinen Analysen erkannte Edmund S. Phelps, dass in den Modellen unüberlegte oder mangels besserer Information getroffene Entscheidungen nicht berücksichtigt wurden. Seit 2000 teilt er seine Ansätze als Mitglied im CESifo Netz.
Konfliktforschung im Kalten Krieg
Es ist ein bemerkenswerter Zufall, dass Thomas Schelling, ehemaliger Kommilitone von Edmund S. Phelps, nur ein Jahr vor ihm ebenfalls mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. 2005 würdigte ihn die Königlich Schwedische Akademie zusammen mit Robert J. Aumann dafür, „durch spieltheoretische Analysen unser Verständnis von Konflikt und Kooperation vorangebracht“ zu haben. Während des Zweiten Weltkrieges und in den frühen 1950er Jahren betätigte Schelling sich in der Politik und war unter anderem an der Erarbeitung des Marshall-Plans beteiligt. 1960 veröffentlichte er „The Strategy of Conflict“ (deutsch: „Konfliktstrategie“), bis heute eines seiner bekanntesten und bedeutendsten Werke. Es gilt als es eines der 100 einflussreichsten Bücher im Westen seit 1945. Während des Kalten Krieges spielten seine Studien eine prägende Rolle: Schelling fasste Krieg als einen Verhandlungsprozess auf und argumentierte, der beste Weg sich gegen einen Atomangriff zu wappnen sei, seine eigenen nuklearen Waffen zu schützen. Auch Thomas Schelling war seit dem Gründungsjahr 1999 Teil im CESifo Netz und blieb bis zu seinem Tod 2016 im Alter von 95 Jahren ein geschätztes Mitglied.
Die Heckman-Korrektur
James Heckman beschäftigt sich mit der politischen Ökonomie. Er untersucht, wo Wirtschaft und andere Wissenschaften sich kreuzen, um die wesentlichen Probleme der Gesellschaft zu erfassen. Dass er darüber hinaus auch Wirtschaftsstatistiker ist, half ihm bei der Entwicklung seines ausgezeichneten Werkes: Gemeinsam mit Daniel McFadden gelang es ihm, „Theorien und Methoden zur Analyse selektiver Stichproben“ zu erarbeiten. Dies brachte den beiden im Jahr 2000 den Nobelpreis ein. Was zunächst abstrakt klingt, verschaffte politischen Entscheidungsträger*innen entscheidende neue Einblicke in Bereiche wie Bildung und Berufsausbildung. Statistische Probleme der Stichprobenauswahl bei Analysen von Verhalten von Individuen oder Haushalten können nun dank der Heckman-Korrektur überwunden werden. Bei CESifo ist James Heckman bereits seit 2003 Mitglied.
Von Soziologischem in der Ökonomie bis zur Spieltheorie
Gary Becker (1930-2014), CESifo Mitglied seit 1999, bezog als einer der Ersten auch soziologische Themen in die Wirtschaftswissenschaft ein. Das Komitee in Stockholm würdigte ihn deshalb 1992 für seine Ausdehnung der Mikroökonomie auf weite Teile des menschlichen Verhaltens und der Zusammenarbeit. Vier seiner Schüler, darunter Peter A. Diamond, erhielten ebenfalls den Nobelpreis: Robert M. Solow (1924-2023) wurde 1987 für seine Beiträge zur ökonomischen Wachstumstheorie ausgezeichnet. Das Solow-Modell erklärt langfristiges Wirtschaftswachstum durch technischen Fortschritt. Dem CESifo Netz gehörte er seit 1999 an. Als bisher einziger Deutscher erhielt Reinhard Selten (1930-2016) den Wirtschafts-Nobelpreis. Das Komitee würdigte seine Verdienste im Bereich der Spieltheorie. Auch Selten war ab 1999 Mitglied bei CESifo.
Netzwerk
Menschen
Künstliche Intelligenz: Chance oder Gefahr?
Es ist unbestritten, dass der Einsatz von Künstlicher Intelligenz die Gesellschaft, insbesondere die Arbeitswelt, verändert. Große Unsicherheit besteht aber über das „Wie“. Ist ihr Einsatz eher eine Chance oder doch eher eine Gefahr? Auf der einen Seite werden größere Effizienz, Dynamik und neue Geschäftsmodelle erwartet. Auf der anderen Seite sind mit diesen Möglichkeiten Ängste verbunden – für die Wirtschaft wie auch für die Gesellschaft. Entwickelt sich die KI zum Jobkiller? Wird die KI aufgrund ihrer mangelnden Nachvollziehbarkeit sogar unkontrollierbar? Ein geeigneter Rahmen für den Umgang mit KI-Technologien ist unerlässlich.
KI, Cloud Computing und Blockchain – wo steht die deutsche Wirtschaft?
Digitale Technologien verändern nicht nur die Effizienz und den Ablauf von Produktionsprozessen, sondern haben auch einen tiefgreifenden, disruptiven Einfluss auf unsere Wirtschaft, der oft mit dem Begriff „digitaler Wandel“ umfasst wird. Der digitale Wandel bezeichnet die Integration digitaler Technologien in die wirtschaftlichen Arbeitsabläufe, aber auch ihre Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse und die Gesellschaft insgesamt.
Zu den zahlreichen neuen Technologien, die in den vergangenen Jahren einen beachtlichen Fortschritt und eine breite Akzeptanz erfahren haben, gehören digitale Plattformen, das Internet der Dinge (Internet of Things/IoT), Robotik, Cloud Computing, Blockchain und nicht zuletzt Künstliche Intelligenz.
Durch die breitgefächerte Anwendung und tiefreichende Verbreitung von KI entstehen innovative Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle, die in einer Vielzahl von Branchen, von Logistik und Energie über Landwirtschaft, Handel, Telekommunikation, Finanzdienstleistungen, Verarbeitendes Gewerbe bis hin zur Gesundheitsversorgung, Anwendung finden. Sie haben gar das Potenzial, das Leben der Menschen und die Gesellschaft nachhaltig zu verändern.
Alle drei Technologien verfügen über die Fähigkeit, bestehende Geschäftsmodelle und die Art und Weise, wie Wissen, Produkte und Dienstleistungen entstehen und ausgetauscht werden, maßgeblich zu verändern.
ChatGPT rückt KI in die Mitte der Gesellschaft
KI-basierte Systeme nutzen Techniken wie maschinelles Lernen und Deep Learning, um mit Hilfe großer Datenmengen komplexe Aufgaben wie Mustererkennung, Sprachverarbeitung, Trendanalyse und Entscheidungsfindung zu automatisieren. Höhere Rechenleistungen, Verfügbarkeit großer Datenmengen und neue Algorithmen haben zu einer rasanten Weiterentwicklung der KI-Technologie geführt und breite Anwendung über sämtliche Wirtschaftsbereiche hinweg ermöglicht. Zuletzt hat insbesondere die Verbreitung von Chatbot-Anwendungen, wie beispielsweise ChatGPT des Unternehmens OpenAI, KI in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt.
KI in Unternehmen: Personaler*innen haben Bedenken beim Einsatz
Bei 86% der deutschen Personalverantwortlichen bestehen Bedenken gegenüber dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in ihrem Unternehmen. Das geht aus der jüngsten Randstad-ifo-Personalleiterbefragung hervor. Am häufigsten gaben die Personaler*innen fehlendes Know-how als Grund an (62%). Rechtliche Aspekte sind für 48% ein Thema. Fehlendes Vertrauen in KI haben 34%. Bei einem Viertel ist eine fehlende Akzeptanz hinderlich für den Einsatz von KI. Für 22% ist durch KI kein Mehrwert ersichtlich. Den großen Aufwand für KI sehen 19% kritisch, hohe Kosten 18%.
KI im Fokus bei den Munich Economic Debates (MED) 2024
In unserer Veranstaltungsreihe der Munich Economic Debates (MED) stehen wir das ganze Jahr über im Dialog über die Auswirkungen und Potenziale von Künstlicher Intelligenz (KI) in verschiedenen Bereichen. Wir laden Expert*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft ein, um gemeinsam die Chancen und Herausforderungen dieser Technologie zu diskutieren. Veranstaltungsankündigungen und neues zu den Livestreams finden Sie auf unseren ifo-Webseiten. Schauen Sie vorbei und seien Sie Teil des Dialogs über die Zukunft von KI!
Events
Ausblicke
Literatur trifft Ökonomie: Umbrüche
Klimakatastrophe, demografischer Wandel, Digitalisierung und Krieg: Was unterscheidet die Perspektiven von Literatur und Wissenschaft auf aktuelle Themen? Werden Umbruchserfahrungen unterschiedlich reflektiert? Welche Handlungsräume zur Gestaltung der Zukunft gibt es? Darüber diskutierten ifo-Präsident Clemens Fuest, Historiker Philipp Blom und Schriftstellerin Theresia Enzensberger am 3. März 2024 im Literaturhaus.
Literarische Utopien und Dystopien
Die Schriftstellerin Theresia Enzensberger erzählt in ihrem Roman „Auf See“ von einer Welt, in der die Vorbereitung auf die Apokalypse alles bestimmt. Eine kleine elitäre Gemeinschaft zieht sich auf eine Insel in der Ostsee zurück, um dort selbstversorgt zu leben – eine Utopie, die zur Dystopie wird. Jeder ist hier auf sich selbst gestellt, handelt eigenverantwortlich. Enzensberger nimmt den Radikalliberalismus erzählerisch auf, denn die Geschichte hat einen wahren Kern: Die Phantasie eines libertären Tech-Unternehmers aus dem Silicon Valley. Ein möglicher Ausweg aus der Dystopie besteht in ihrer Erzählung aus sozialer Fürsorge und Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Lehren aus der kleinen Eiszeit
Philipp Blom, Schriftsteller und Historiker, sagt, dass es schon immer Umbrüche in der Historie gegeben hat: So etwa in der sogenannten Kleinen Eiszeit von der Mitte des 15. Jahrhunderts an, in der Temperaturänderungen von bis zu minus 2 Grad enorme wirtschaftliche und gesellschaftliche Konsequenzen hatten. So wie bei dieser Klimaveränderung und anderen vergleichbaren Umbrüchen in der Geschichte können wir davon ausgehen, dass wir als andere Gesellschaft aus der aktuellen Krise hervorkommen werden. Wie diese andere Gesellschaft aussehen wird, können auch Historiker und Schriftsteller nicht sagen, aber sie können ein Narrativ entwickeln und damit Perspektiven aufzeigen.
Neue wissenschaftliche Theorien gesucht
Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts, begleitet die aktuellen Umbrüche mit wissenschaftlichen Arbeiten und politischer Beratung. Die Ökonomie denkt – mathematisch formuliert – darüber nach, wie die Welt in der Zukunft funktionieren kann. Allerdings muss das verbreitete übergroße Vertrauen in die wissenschaftliche Auswertung von Daten und die Möglichkeit, datenbasierte Vorhersagen zu treffen, kritisch betrachtet werden, sagt er. Denn traditionelle wissenschaftliche Methoden sind immer historisch orientiert: Wissenschaftler*innen analysieren Vergangenheitsdaten und lernen daraus für die Zukunft. In Zeiten von Umbrüchen verändern sich die Parameter jedoch so stark, dass diese Herangehensweise an ihre Grenzen stößt. In Zeiten von Umbrüchen und großen Veränderungen muss der Fokus deswegen auf der Theoriebildung liegen, der Entwicklung neuer Modelle, um Aussagen über die Zukunft treffen zu können.
Den Mitschnitt der Diskussion finden Sie hier:
Events
Ludwig Erhard: Wissenschaftler. Bundeskanzler. Visionär.
Mit dem Namen Ludwig Erhard verbindet sich vor allem die Idee der Sozialen Marktwirtschaft, der bis heute die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland folgt. Erhards politische Karriere führte ihn ins Amt des Bundesministers für Wirtschaft unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (1949 - 1963). Sie gipfelte im Amt des Bundeskanzlers, das er von 1963 bis 1966 bekleidete. Erhard spielte eine wichtige Rolle bei der Gründung des ifo Instituts.
Akademische Laufbahn statt Textilgeschäft
Geboren wurde Ludwig Erhard am 4. Februar 1897 im bayerischen Fürth. Nach dem Besuch der Volks- und Realschule sowie dem Abschluss einer Lehre als Weißwarenhändler im Jahr 1916 sollte er das elterliche Textilgeschäft übernehmen. Doch es kam erst einmal anders: Trotz eines durch Kinderlähmung deformierten Fußes kämpfte Erhard ab 1916 als Soldat im Ersten Weltkrieg. 1918 wurde er bei Ypern (Belgien) schwer verwundet und schied 1919 aus dem Militärdienst aus.
Statt in das väterliche Geschäft einzusteigen, nahm er ein Studium an der Handelshochschule Nürnberg auf, das er 1922 als Diplom-Kaufmann abschloss. Daraufhin studierte er Betriebswirtschaft, Nationalökonomie und Soziologie an der Universität Frankfurt, interessierte sich aber besonders für Volkswirtschaft: Er selbst bezeichnete sich einmal als Studenten, „der Betriebswirtschaft lernen wollte, aber von volkswirtschaftlichem Eifer besessen“ gewesen sei. 1925 promovierte Erhard und stieg als Geschäftsführer in das elterliche Unternehmen ein, für das er aber 1929 Konkurs anmelden musste.
Schon ein Jahr zuvor war er an das Institut für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware in die Wissenschaft zurückgekehrt. Dort stieg er bis zum Stellvertretenden Forschungsleiter auf. 1942 gab er diese Position auf, um sein eigenes Institut für Industrieforschung zu gründen, das sich auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs bereits mit Fragen des späteren Wiederaufbaus beschäftigte. Die Gründung dieser Forschungsstätte gehört zu den wichtigen Stationen der Vorgeschichte des ifo Instituts.
Der „Linksdemokrat“ Erhard wird bayerischer Wirtschaftsminister
Erhards erfolgreiches Wirken in der Wirtschaftsbeobachtung, der wirtschaftspolitischen Analyse und bei der Beratung von Praktikern hatten seine politische Karriere vorbereitet. Gleich am Tag nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in seine Heimatstadt Fürth (18. April 1945) stellte sich Erhard bei der Militärbehörde als Wirtschaftsexperte vor und bot seine Dienste an. Am 22. Oktober 1945 wurde er vom amerikanischen Militärgouverneur zum Minister für Handel und Gewerbe in der neuen Bayerischen Staatsregierung ernannt, die vom sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner geführt wurde. Erhard war damals parteilos und wurde in der Kabinettsliste mit der Bezeichnung „Linksdemokrat“ geführt.
Zum Jahreswechsel 1945/46 schätzte er die Möglichkeiten der bayerischen Regierung beim Wiederaufbau als gering ein. Er erklärte, „eine nur bayerische Wirtschaftspolitik könne die anstehenden Probleme nicht lösen, dies sei nur im deutschen Rahmen und in einer Zusammenarbeit über Deutschlands Grenzen hinaus möglich“. Diese Forderung empfanden manche Regierungskollegen als Provokation. Ludwig Erhard isolierte sich in der bayerischen Politik immer stärker. Nach den ersten Wahlen zum Bayerischen Landtag am 21. Dezember 1946 verlor er sein Amt.
Der Start für den nächsten Karriereschritt
Wieder einmal erwies sich ein beruflicher Rückschlag im Nachhinein als nächste Stufe von Erhards rasantem beruflichen Aufstieg. Denn die Münchener Jahre nach dem Ende des Krieges halfen nicht nur seinen politischen Ambitionen, sondern boten ihm auch die Möglichkeit, sich mit führenden Nationalökonomen und Finanzwissenschaftlern auszutauschen. Dazu hatte er vor allem in der – von Adolf Weber gegründeten – „Volkswirtschaftlichen Arbeitsgemeinschaft für Bayern“ Gelegenheit. Hier erwarb er sich weitere ökonomische Kompetenz, die seine politische Karriere über die bayerischen Grenzen hinaus führte. 1947 leitete Erhard die Sonderstelle „Geld und Kredit“ bei der Verwaltung der Finanzen der britisch-amerikanischen Bizone in Frankfurt, am 2. März 1948 wurde er zum Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes gewählt und war damit für die Wirtschaftspolitik in den westlichen Besatzungszonen verantwortlich. Nach der ersten Bundestagswahl 1949 ernannte ihn Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) im zum Wirtschaftsminister seines ersten Kabinetts.
Das deutsche Wirtschaftswunder
Ludwig Erhard trat vehement für eine freie, soziale Wirtschaftsordnung ein, die in Westdeutschland anderthalb Jahrzehnte lang ein eindrucksvolles Wachstum hervorbrachte. Die Bundesrepublik schaffte es in die vorderste Reihe der Industrie- und Exportnationen.
Nach 14 Jahren im Amt des Wirtschaftsministers zog Erhard 1963 für nur drei Jahre ins Kanzleramt ein. Meinungsverschiedenheiten über wirtschaftliche und finanzpolitische Fragen führten im Jahr 1966 zum Ende der Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP. Noch während Erhards Kanzlerschaft geriet die Bundesrepublik zum ersten Mal in eine Wirtschaftskrise. Schon seit 1960 verlangsamte sich das Wirtschaftswachstum. Die Kritik an Erhards Sparpolitk wurde immer lauter. Am 10. November 1966 nominierte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion Kurt Georg Kiesinger zum Kanzler, am 1. Dezember erklärte Erhard seinen Rücktritt.
Am 4. Februar 1977 erhielt er anlässlich seines 80. Geburtstags zahlreiche Ehrungen – gut drei Monate später starb er am 5. Mai in Bonn an Herzversagen. Im Sinne seiner Vision erforscht heute das Ludwig Erhard ifo Zentrum für Soziale Marktwirtschaft und Institutionenökonomik in Fürth staatliches Handeln im Lichte neuer Herausforderungen. Zum Gedenken an Erhard wurde der große Vortragssaal im ifo Institut in „Ludwig-Erhard-Saal“ umbenannt.
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Anfänge
Menschen
Mit untrüglichem Gemeinschaftssinn: Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom
Elinor Ostrom (1933-2012) war Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Indiana University in Bloomington (USA). Gemeinsam mit ihrem Ehemann Vincent Ostrom begründete sie die sogenannte Bloomington School. Ihre Forschung richtet sich auf die Überwindung der Dichotomie von Staat und Markt und sucht nach effizienten Mischformen beider Systeme. Prinzipien der Selbstorganisation gab Ostrom gegenüber Institutionen zentraler staatlicher Regelung den Vorzug. Zu Ehren der Nobelpreisträgerin heißt das ifo-Gebäude direkt neben dem Hauptgebäude in der Poschingerstraße 5 „Elinor-Ostrom-Villa".
Höchste Anerkennung: Der Nobelpreis
2009 wurde Elinor Ostrom als erste Frau mit dem Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Sie habe gezeigt, „wie gemeinschaftliches Eigentum von Nutzerorganisationen erfolgreich verwaltet werden kann“, heißt es in der Würdigung der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften. Auf dem Weg zu diesem Höhepunkt ihrer Karriere musste sie viele Widerstände überwinden. Als etwa die junge motivierte Studentin 1960 ein erstes Stipendium an der University of California, Los Angeles, zugesprochen bekam, beklagten Mitglieder der Fakultät eine "Verschwendung knapper Ressourcen", denn es sei doch unwahrscheinlich, dass eine Frau jemals Professorin werde.
Welch ein Irrtum! Im Laufe ihrer Karriere eröffnete Elinor Ostrom ihrem Fach immer neue Perspektiven, etwa die Umweltökonomik oder die Allmendeforschung. Sie habe erkannt, so das Nobelkomitee, dass Menschen „häufig raffinierte Mechanismen" der Entscheidungsfindung und Regeldurchsetzung entwickelt hätten, um „drohende Interessenkonflikte" im Umgang mit Gemeingütern zu vermeiden – und zwar ohne Einbeziehung staatlicher oder marktwirtschaftlicher Vorherrschaft.
Ostroms Forschung befasste sich mit der Frage, wie sich Menschen organisieren, um gemeinschaftlich komplexe Aufgabenstellungen zu bewältigen. Sie analysierte, wie sich Regeln von Institutionen auf Handlungen von Individuen auswirken, die bestimmten Anreizen ausgesetzt sind und die Entscheidungen treffen müssen. Und sie präsentierte für diese Herausforderungen umfassende Lösungen.
Nachhaltige Selbstorganisation
International bekannt wurde Ostrom mit ihrem Buch „Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action" (1990, dt. „Die Verfassung der Allmende: Jenseits von Markt und Staat", 1999). Allmende sind nutzbare Grundstücke, die einem Dorf gehören – also einen Teil des Gemeindevermögens darstellen.
Ostrom kam zu dem Ergebnis, dass für eine nachhaltige Bewirtschaftung von Allmenden oft eine lokale Zusammenarbeit die beste Lösung sei – und nicht etwa staatliche Verwaltung oder Privatisierungen. Ostrom untersuchte weltweit erfolgreiche und gescheiterte Beispiele für nachhaltige Selbstorganisationen. Auf der Basis dieser empirischen Forschung entwickelte sie die sogenannten „Design Principles" für eine funktionierende Verwaltung. Zu diesen Prinzipien zählen klare und akzeptierte Grenzen zwischen legitimen Nutzer*innen und Nicht-Nutzungsberechtigten. Außerdem müssten Beschlüsse gemeinschaftlich getroffen werden. Konfliktlösungsmechanismen innerhalb der Allmende sollten schnell, günstig und direkt organisiert sein.
Gemeinsame Ressourcen klug nutzen
Meere werden überfischt, Wälder gerodet, natürliche Ressourcen ausgereizt. Ist das der unverrückbare Lauf der Dinge? Wenn es um die zentralistische Verwaltung von Ressourcen geht, berufen sich deren Vertreter*innen gerne auf die „Tragik der Allmende", die der US-amerikanische Mikrobiologe und Ökologe Garrett Hardin 1968 in seinem Essay „The Tragedy of the Commons" beschrieb. Sein prägnantes Bild: eine Weide, auf die jeder seine Schafe zum Grasen treiben darf. Diese Möglichkeit würde die Herdenbesitzer dazu ermutigen, sich immer mehr Schafe anzuschaffen und wieder ertragreich zu verkaufen, bis auf dem Boden irgendwann kein Gras mehr nachwachsen würde. Der unbeschränkte Zugang zu beschränkten Ressourcen führe automatisch zu deren Ausbeutung, argumentiert Hardin. „Freiheit auf der Allmende", so seine Schlussfolgerung, „bringt allen Beteiligten den Ruin." Doch Elinor Ostrom fand Lösungen für die Probleme bei der Nutzung lokaler Ressourcen – jenseits der Privatisierung – und ohne zentralstaatliche Verwaltung.
Systeme neben Markt und Zentralismus
Für den Austausch privater Güter muss der Markt nicht das einzige Steuerungsinstrument sein. Bei öffentlichen Gütern ist keine zentrale Steuerung notwendig, um egoistisches Handeln einzudämmen und bei Konflikten den Interessenausgleich zu regeln. Elinor Ostroms Datenbank am Center for the Study of Institutional Diversity in Tempe (US-Bundesstaat Arizona) enthält über 1.000 Fallstudien zur gemeinschaftlichen Nutzung knapper Güter – eine Fülle von Beispielen, wie es Menschen sehr wohl gelingt, miteinander zu kooperieren und dabei die Umwelt zu schonen.
Schon mit ihrer ersten Feldstudie in den 1970er Jahren fand Ostrom Hinweise, dass kleinere Einheiten bei der kommunalen Organisation von Gemeingütern effektiver agierten als zentrale Verwaltungen: So drohten im Süden Kaliforniens infolge der wachsenden Bevölkerung die Grundwasserreserven zu schwinden. Ostrom stieß auf unterschiedliche Strukturen und flexible Netzwerke, mit denen die Kommunen die Entnahme von Grundwasser regelten. Und es zeigte sich: Die aus der Not geborenen Gemeinschaften in kleineren und mittleren Städten kamen mit den Herausforderungen des Wassermanagements besser zurecht als staatliche Institutionen.
Was man von Hummerfischern lernen kann
In den 1920er Jahren wären die Hummerbestände im US-Bundesstaat Maine durch Überfischung beinahe vernichtet worden. Angesichts dieser Bedrohung stellten sich die lokalen Fischer neu auf. Sie entwickelten eine Reihe kreativer Regeln, einschließlich einer Überwachungsmethode der bedrohten Hummerbestände. So markierte man etwa trächtige Hummerweibchen und ließ sie wieder frei, um so den weiteren Nachwuchs zu sichern. Ein Händler, der auf einem Markt ein Tier mit einer Markierung anbot, fiel auf und wurde von Fischern und Käufern geächtet. Diese und andere Mechanismen sorgten dafür, dass sich die Hummerpopulation wieder nachhaltig erholte.
Eindrucksvoll hat Elinor Ostrom unter Beweis gestellt, dass Komplexität nicht automatisch Chaos bedeutet. Wer Ostroms Lebenswerk betrachtet, begibt sich auf eine Entdeckungsreise zu erstaunlich vielfältigen Systemen, die Menschen entwickelt haben, um gemeinsame Ressourcen nachhaltig zu nutzen.
Menschen
Neuorientierung – das ifo Institut in den 1990er Jahren
Der Wissenschaftsrat in Deutschland bewertet in regelmäßigen Abständen Forschungseinrichtungen, die aus Steuermitteln finanziert werden. So auch die Institute der Leibniz-Gemeinschaft, zu denen das ifo Institut gehört. Im Jahr 1996 fiel diese Bewertung negativ aus, so dass der zuständige Ausschuss des Wissenschaftsrats der für die Fortsetzung der Förderung verantwortlichen Bund-Länder-Kommission empfahl, das ifo Institut nicht mehr weiter zu unterstützen. Die endgültige Entscheidung sollte im Januar 1997 fallen. Ein Aussetzen der Förderung hätte das Ende des ifo Instituts bedeutet.
Das Renommee
Die Fortentwicklung und Differenzierung der Konjunkturanalyse und dabei vor allem die gezielte Beobachtung einzelner Branchen waren zentrale Bereiche der Arbeit am ifo Institut, die den Bedürfnissen der Praxis besonders entgegenkamen. Karl Heinrich Oppenländer, von 1976 bis 1999 Präsident des ifo Instituts, galt als einer der heraussragenden Konjunkturbeobachter seiner Zeit. Das Renomee des ifo Instituts basierte bis in die 1990er Jahre auf der Qualität der Konjunkturumfragen und praxisnahen Forschungsprojekten. Dies entsprach den Erwartungen politischer Entscheidungsträger, aber nicht ganz denen des Wissenschaftsrats. Dessen bereits 1982 bei einer Evaluierung geäußerter Anspruch war der „Nachweis von Veröffentlichungen in international anerkannten, referierten und hochkarätigen Fachzeitschriften, in die hineinzukommen nicht nur eine interessante Fragestellung, sondern auch eine profunde theoretische und ökonometrische Fundierung verlangte.“ (Hans-Werner Sinn in seiner Autobiographie „Auf der Suche nach der Wahrheit“).
Die Evaluierung
Eine angekündigte Begehung des ifo Instituts zur Evaluierung durch die Vertreter des Wissenschaftsrats fand am 14. und 15. Oktober 1996 statt. Der seit 1. September 1995 als kaufmännischer Vorstand eingestellte Meinhard Knoche, der zuvor stellvertretender Verwaltungsdirektor und Leiter der Hauptabteilung Personal der Konrad-Adenauer-Stiftung war, bemühte sich, mit einer Neuorientierung des Instituts diese Evaluierung im Sinne des Wissenschaftsrats vorzubereiten. Hierfür leitete er schon vor seinem offiziellen Amtseintritt seit Mitte 1995 die Neugestaltung der kompletten IT-Infrastruktur und eine Abkehr von der seit Jahren laufenden personellen Expansion ein. Er strebte einen schrittweisen sozial-verträglichen Personalabbau an. Vor allem aber bemühte er sich um die Entwicklung eines neues Leitbilds und den Aufbau eines zertifizierten Qualitätsmanagementsystems.
Zeit gewinnen
Die kurz vor Weihnachten 1996 bekannt gewordene Beschlussvorlage des Wissenschaftsrats enthielt beunruhigende Aussagen: Es wurden erhebliche Defizite in der methodischen und theoretischen Fundierung der meisten wissenschaftlichen Arbeiten des ifo Instituts festgestellt. Die Kommission empfahl, die Förderung des ifo Instituts als Forschungseinrichtung im Rahmen der Wissenschaftsgemeinschaft Blaue Liste (später Leibniz-Gemeinschaft) zu beenden. Bevor diese Beschlussvorlage im Januar 1997 verabschiedet werden konnte, musste man Zeit gewinnen. Der bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu und auf Bundesseite der Staatssekretär Johannes Ludewig schalteten sich mit Nachdruck in das Verfahren ein und erreichten, dass die Beschlussfassung zurückgestellt wurde. Eine Arbeitsgruppe des Wissenschaftsrats wurde eingesetzt, die bis Ende 1997 zu den offenen Fragen ein Gutachten erstellen sollte.
Eine zweite Chance
Nun galt es, die gewonnene Zeit umgehend zu nutzen und einen Strategiewechsel herbeizuführen, der die Abhängigkeit von der Auftragsforschung verringern sollte und gleichzeitig den Wissenschaftler*innen Freiräume schaffen musste, um anspruchsvolle Forschungsvorhaben möglichst bald in referierten wissenschaftlichen Fachzeitschriften zu publizieren.
Wichtiger Bestandteil dieses Strategiewechsels war der am 11. September 1997 geschlossene Kooperationsvertrag mit der LMU München, der die gemeinsame Berufung des zukünftigen ifo-Präsidenten (mit Lehrstuhl an der LMU), die Beteiligung von ifo-Wissenschaftlern an der Lehre, die Kooperation auf den Gebieten der Forschung und der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses sowie die Vertretung der LMU im Aufsichtsorgan vorsah.
Des Weiteren sah eine Reform der ifo-Satzung eine Stärkung des Vorstands vor, der Vorstandsrat wurde aufgelöst und durch den Verwaltungsrat ersetzt, und der Wissenschaftliche Beirat in der Satzung verankert. Sieben Forschungsbereiche (statt der bisher 17 Fachabteilungen) bündelten die personellen und sachlichen Ressourcen. So konnte das Institut deutlich effizienter arbeiten.
Das Aufatmen
Am 23. Januar 1998 beendete der Wissenschaftsrat das schwebende Evaluierungsverfahren. Die Stellungnahme der vom Wissenschaftsrat eingesetzten Arbeitsgruppe fasste zusammen, dass beim ifo Institut die Auftragsforschung expandiert sei und die überwiegende Zahl der Forschungsarbeiten Defizite aufwies. Dagegen seien die serviceorientierten empirischen Arbeiten, wie vor allem die Konjunktur-, Investitions- und Innovationstests, überregional bedeutsam und förderungswürdig. Die Empfehlung an die Zuwendungsgeber der Bund-Länder-Kommission lautete, dass ifo Institut zukünftig nicht mehr als Forschungsinstitut, sondern „als forschungsbasierte Serviceeinrichtung“ zu fördern. Gleichzeitig sollte der Grundhaushalt des ifo Instituts eingeschränkt werden.
Ein neuer ifo-Präsident
Der für die Weiterführung unabdingbare Verbleib in der Forschungsförderung durch Bund und Länder (Blaue Liste) war gesichert. Und trotz der mit dem Evaluierungsverfahren und den inneren Reformen verbundenen Belastungen verbesserte sich in den Jahren 1996 bis 1998 sowohl die wissenschaftliche Produktivität als auch die Drittmittelproduktivität der ifo-Beschäftigten deutlich.
Der bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu nahm im Laufe des Jahres 1997 Kontakt zu Hans-Werner Sinn auf, um ihn als neuen Präsidenten des ifo Instituts zu gewinnen. Hans-Werner Sinn hatte an der Universität Mannheim habilitiert und seit 1984 den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Versicherungswirtschaft an der Volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU inne. 1991 erhielt er die Möglichkeit, das Center for Economic Studies (CES) aufzubauen. Um Sinns Interesse für die Übernahme der ifo-Präsidentschaft zu wecken, stellte der Minister in Aussicht, das CES als ein internationales Forschernetzwerk auszubauen – die Geburtsstunde von CESifo. Die Berufung Hans-Werner Sinns, dessen hohes wissenschaftliches Renommee die Rückumwandlung des ifo Instituts von einer Serviceeinrichtung zu einem Forschungsinstitut beschleunigen sollte, gelang. Die von ifo und LMU eingerichteten Berufungskommissionen empfahlen dessen Berufung einstimmig, und der Verwaltungsrat beschloss in seiner Sitzung am 10. Dezember 1998, Hans-Werner Sinn zum Präsidenten des ifo Instituts zu bestellen. Am 1. Februar 1999 begann die Amtszeit des neuen ifo-Präsidenten.
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Ausblicke
Oskar Anderson: Methoden der Konjunkturforschung
Fast 40 Jahre prägte Oskar Anderson die Konjunkturforschung des ifo Instituts mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten und optimierte diese dabei Schritt für Schritt. Am 13. März 2006 starb er im Alter von 84 Jahren in Hamburg. Von 1970 bis 1988 war er Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München. In Anerkennung seiner wissenschaftlichen Verdienste trägt ein Seminarraum im Münchner Hauptgebäude des ifo Instituts seit Anfang der 2000er Jahre den Namen „Oskar Anderson“.
Aufsehenerregende Grundlagenforschung
Der junge Oskar Anderson begann seine wissenschaftliche Laufbahn am ifo Institut, wo er schon als Werkstudent gearbeitet hatte. 1951 schloss er sein Studium als Diplom-Volkswirt ab. Große Bedeutung erlangte er mit seinen Forschungen über mathematisch-statistische Methoden bei der Auswertung von Befragungsdaten für Erkenntnisse über das Unternehmensverhalten. Die Ergebnisse dieser Grundlagenforschung wurden seit den frühen 1950er Jahren in nationalen und internationalen Fachzeitschriften publiziert. Das erste Heft der 1955 erstmals erschienenen ifo Studien befasste sich nahezu ausschließlich mit methodischen Fragen des Konjunkturtests. Das ifo betrat mit den von Oskar Anderson geleiteten statistisch-methodischen Untersuchungen wissenschaftliches Neuland und diese Ergebnisse sollten möglichst umfassend der Öffentlichkeit vorgestellt und diskutiert werden.
Konjunkturforschung in die Wiege gelegt
Schon sein Vater Oskar Anderson (1887-1960) gehörte zu den Pionieren der Ökonometrie. 1935 gründete er das „Statistische Institut für Wirtschaftsforschung an der Staatlichen Universität Sofia" (SWIFO) und stand ihm bis 1942 als Direktor vor. Anschließend wechselte er als Leiter der Abteilung für Ostforschung ans Kieler Institut für Weltwirtschaft. Ab 1947 lehrte er als ordentlicher Professor an der Universität München. Anderson nahm an der Gründungs-Mitgliederversammlung des ifo Instituts am 24. Januar 1949 teil und war langjähriges Mitglied des Kuratoriums und des Forschungsbeirats. Sein Sohn Oskar Anderson junior (1922-2006) trug ab den frühen 1950er Jahren maßgeblich zur Entwicklung und Optimierung des ifo Konjunkturtests bei.
Väterliche Sorgen
Oskar Anderson senior soll beim ifo-Vorstand seinen Unmut darüber geäußert haben, dass sein Sohn allzu sehr für praktische Fragen der Unternehmensbefragungen vereinnahmt würde, anstatt sich seiner Habilitation zu widmen. Aber die Sorge war unbegründet. Oskar Anderson junior startete ab 1962 eine erfolgreiche akademische Karriere als Professor für Statistik an der Universität Mannheim, die ihn 1970 an die Ludwig-Maximilians-Universität in München führte, wo er bis zu seiner Emeritierung 1988 unterrichtete.
Konzeption von Umfragen – nach Oskar Anderson
Bereits in der Anfangszeit des ifo Konjunkturtests beschäftigte sich Anderson intensiv mit den theoretischen Grundlagen von Befragungen. Als Statistikexperte war er schon früh davon überzeugt, dass unternehmerisches Verhalten mit Hilfe von Mikrodaten verlässlich erklärt und vorausgesagt werden kann. Unter anderem erforschte er, wie sich die qualitativen Antworten von Konjunkturtests sinnvoll in quantitative Indikatoren übertragen lassen – und wie genau diese qualitativen Aussagen der realen ökonomischen Situation entsprechen. Seine Studien zur Saisonbereinigung und zur Präzision der unternehmerischen Erwartungen waren für die Arbeiten des ifo Instituts richtungsweisend.
Bis 1988 blieb Oskar Anderson dem ifo Konjunkturtest verbunden. Durch seine wissenschaftliche Begleitung im Laufe von vier Jahrzehnten Forschertätigkeit hat der auf dem ifo Konjunkturtest basierende ifo Geschäftsklimaindex jene methodische Verlässlichkeit erreicht, die ihn heute als weltweit beachteten Konjunkturindikator auszeichnet.
Menschen
Peggy und Richard Musgrave: Gemeinsam für die Finanzpolitik
Die britisch-US-amerikanische Finanzwissenschaftlerin Peggy Brewer Musgrave (1924–2017) und der deutsch-US-amerikanische Ökonom Richard Abel Musgrave (1910–2007) machten sich einen Namen mit ihren Forschungen zu Fragen der öffentlichen Finanzen. In Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Verdienste und ihrer Verbundenheit mit dem ifo Institut trägt ein Seminarraum im Münchner Hauptgebäude des ifo Instituts seit Anfang der 2000er Jahre den Namen „Musgrave-Saal“.
Arthur Conan Doyle als Namensgeber
Richard Musgrave wurde 1910 in Königstein im Taunus geboren und entstammte einem gebildeten intellektuellen Milieu. Sein Vater, Curt Abel, war Sozialist, Autor und Übersetzer. Er beschloss, einen Zweitnamen anzunehmen, der im angloamerikanischen Raum vertrauter klingen sollte, und entschied sich für Musgrave. So lautet der titelgebende Familienname einer Sherlock Holmes Kurzgeschichte („Das Musgrave-Ritual“) von Arthur Conan Doyle.
Sein Sohn Richard Abel Musgrave begann sein Studium der Volkswirtschaftslehre nach dem Abitur 1930 an der Universität München und setzte es in Heidelberg fort, wo er bei Jakob Marschak, Alfred Weber und Otto Pfleiderer studierte und 1933 seinen Abschluss als Diplomvolkswirt machte. Im Herbst 1933 erhielt Musgrave ein Stipendium für einen Studienaufenthalt in den USA. Als Kind einer Familie mit jüdischen Wurzeln hatte er die judenfeindliche Haltung des nationalsozialistischen Regimes in Heidelberg kennengelernt und entschied sich, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren.
Kriegszeiten und Karrieren
Richard Musgrave setzte seine Laufbahn an der Harvard University fort, wo er 1937 promovierte und seine Universitätskarriere als Professor der Nationalökonomik begann. Nach dem Krieg nahm er Lehrangebote der bedeutendsten US-amerikanischen Universitäten von Michigan und Princeton bis zur Johns Hopkins University an.
Seine spätere Frau, die in Großbritannien geborene Peggy Brewer, begann ihr Studium 1942 an der Cambridge University. Nach dem Krieg setzte sie ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften fort, promovierte 1962 an der Johns Hopkins University, ging anschließend an die Columbia University und lehrte von 1963 bis 1965 Internationale Ökonomie an der University of Pennsylvania.
Zu Beginn der 1960er Jahre begegneten sich Peggy Brewer und Richard Musgrave in Pennsylvania und heirateten. Beide zogen nach Cambridge (Mass.), wo Richard an der Harvard University eine Professur für Public Economics erhalten hatte und Peggy als Senior Research Associate am International Tax Program der Harvard Law School teilnahm. 1979 erhielten beide einen Ruf an die University of California, Berkeley, wo sie bis zu ihrer Emeritierung lehrten.
Von der „Kapitalexportneutralität“ bis zur „Meritorik“
Peggy und Richard Musgrave beschäftigten sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit mit verschiedenen finanzwissenschaftlichen Themen.und analysierten, welche Rolle dem Staat in einer Marktwirtschaft zukommt. Richard entwickelte die Systematik, dass staatliche Eingriffe der Allokationseffizienz, der Stabilisierung der Wirtschaft und Umverteilungszielen dienen sollten..
Peggys Hauptinteresse galt der Internationalen Besteuerung, unter anderem der Besteuerung ausländischer Investitionen von Unternehmen. Dabei prägte sie den Begriff der Kapitalexportneutralität – die Idee, dass das Steuersystem so gestaltet werden sollte, dass steuerliche Unterschiede zwischen Ländern die Standortwahl von Investoren nicht beeinflussen, weil jeder Investor letztlich dem Steuersatz seines Wohnsitzlandes unterliegt, unabhängig davon, ob die Einkünfte aus dem Ausland oder dem Inland kommen.
Richard Musgrave prägte das Konzept meritorischer Güter. Das sind Güter wie etwa das Bildungsangebot in Schulen, die nicht oder nur wenig konsumiert würden, wenn sie frei am Markt verfügbar wären. Die Einsicht ihres Nutzens, erklärte Musgrave, wäre nur schwer zu vermitteln, und so diagnostiziert er in diesem Zusammenhang Marktversagen. Der Staat solle eingreifen und den Konsum dieser meritorischen Güter etwa durch Subventionen und Gesetze fördern oder sogar vorschreiben. Aus der Sicht der traditionellen Wohlfahrtsökonomik, die auf Konsumentensouveränität setzt, ist dieses Konzept problematisch.
Gemeinsam publizieren
1959 publizierte Richard Musgrave das Buch „Theory of Public Finance“, das seinen Ruhm begründete und das 1966 unter dem Titel „Finanztheorie“ erstmals auf Deutsch erschien. 1968 publizierten Peggy und Richard Musgrave erstmals gemeinsam den Band „Fiscal Policy“. 1973 folgte ihr Standardwerk „Public Finance in Theory and Practice“, das unter dem deutschen Titel „Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis“ in drei Bänden bis heute lieferbar ist und die von ihnen erarbeiteten Forschungsergebnisse für die akademische Lehre zugänglich macht.
Musgrave und CESifo
Seit 1978 war Richard Musgrave eines der einflussreichsten Mitglieder des International Institute of Public Finance (IIPF). Das 1937 in Paris gegründete Institut ist die wichtigste internationale Wissenschaftsorganisation für finanzwissenschaftliche Forschung. Die Mitglieder bilden ein internationales Netzwerk, das die akademische Forschung und den Austausch zwischen Wissenschaft und Politik fördern soll. Das IIPF vergibt seit 2003 den „IIPF Peggy and Richard Musgrave Prize“.
1991 wurde Richard Musgrave auf Betreiben von Hans-Werner Sinn Gründungsmitglied des Center for Economic Studies (CES) an der Universität München. Im gleichen Jahr publizierte er das erste CES Working Paper mit dem Titel „Social Contract, Taxation and the Standing of Deadweight Loss“.
Das International Institute of Public Finance (IIPF) und CESifo stifteten ein Jahr nach dem Tod von Richard Musgrave, 2008, eine Gastprofessur an der Universität München zu Ehren des bedeutenden Wirtschaftswissenschaftlers. Der Präsident von CESifo sowie der Präsident und die Vizepräsidenten des IIPF wählen den Preisträger in einem formellen Auswahlverfahren aus. 2024 wurde diese Professur Henrik Kleven, Professor für Wirtschaftswissenschaften und öffentliche Angelegenheiten an der Princeton University, zuerkannt.
Menschen
Schaffen wir das? – Flucht- und Migration 2015
Bundeskanzlerin Angela Merkel duldete auf der Bundespressekonferenz vom 31. August 2015 keine Zweifel: „Wir schaffen das." Kaum ein Satz verbindet sich so stark mit ihrer Regierungszeit. Die Situation war kritisch: Kurz zuvor hatte das Bundesinnenministerium verlautbart, dass die Zahl der Migranten bis Ende des Jahres auf 800.000 ansteigen würde. Merkel versuchte, das Land auf diese gewaltige Herausforderung einzustimmen: „Wann immer es darauf ankommt, sind wir – Bundesregierung, Länder und Kommunen – in der Lage, das Richtige und das Notwendige zu tun. Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das!"
Flucht vor Diktatur und Terror
Wichtigster Auslöser für die große Fluchtbewegung 2015 war der Krieg in Syrien. Durch das Erstarken der Terrororganisation „Islamischer Staat" in Syrien und im Irak 2014 sowie die drakonische Herrschaft des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad sah sich die Mehrheit der Bevölkerung gleich von zwei Seiten existenziellen Bedrohungen ausgesetzt. Die Flucht von Syrien in die Türkei und weiter auf die griechische Insel Lesbos erschien vielen Menschen, die um Leib und Leben fürchteten, als letzte Rettung. Die griechischen Behörden verzichteten auf eine geordnete Registrierung und leiteten die Ströme der Flüchtenden über die Westbalkanroute weiter in Richtung Ungarn und Österreich.
Die Vorgeschichte
Zwischen 2003 und 2013 beantragten jährlich etwa 34.000 Menschen politisches Asyl in Deutschland. 2014 waren es 173.000, 2015 waren es dann 800.000. Die meisten dieser Menschen kamen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Zunächst führte ihre Fluchtroute über den Balkan, also über Griechenland, Nordmazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich. Bis Mitte 2015 erreichten etwa 150.000 Menschen Ungarn und wurden dort in Aufenthaltslagern untergebracht. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán ordnete im Juni an, die Grenzen nach Serbien zu schließen. Außerdem gingen Fernsehbilder um die Welt, auf denen das rigorose Vorgehen der ungarischen Polizei gegenüber Flüchtenden zu sehen war. Angesichts dieser Ereignisse entschied das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Menschen aus Syrien die Einreise nach Deutschland zu gestatten – auch wenn sie noch nicht in einem anderen EU-Land registriert waren.
Deutschland als sicherer Hafen
Nun wollten sich viele Geflüchtete in Ungarn überhaupt nicht mehr registrieren lassen, sondern direkt nach Deutschland einreisen. In einigen Lagern kam es zu Unruhen. Im Burgenland wurde ein Lastwagen mit über 71 erstickten Flüchtenden aufgefunden, offensichtlich von Schlepperbanden eingepfercht und im Stich gelassen. Auch das Bild des jungen Alan Kurdi sorgte für Empörung. Das Kind war auf der Weiterreise von der Türkei nach Griechenland ertrunken. Unter dem gewaltigen Druck der medialen Öffentlichkeit ist wohl auch die Entscheidung Angela Merkels zu verstehen, den betroffenen Menschen möglichst schnell und umfassend Hilfe zu gewähren.
Seit 1949: Das Grundrecht auf Asyl
Das Recht auf Politisches Asyl regelt in Deutschland Artikel 16 des Grundgesetzes. Darin heißt es in Absatz 1: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ Und in Absatz 2: „Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist." Anlass für Kritiker einer uneingeschränkten Aufnahme von Flüchtenden zu fragen, wer als politisch verfolgt angesehen wird und warum man auch Einreisenden aus sicheren Drittstaaten wie Ungarn und Österreich ein Grundrecht auf Asyl gewähren sollte.
Der historische Hintergrund für die Verankerung des Rechts auf Politisches Asyl im Grundgesetz war die Vertreibung deutscher Juden während der nationalsozialistischen Herrschaft. Diese Flüchtlinge hatten oft große Schwierigkeiten, in anderen Ländern – wie zum Beispiel in der Schweiz – politisches Asyl zu erhalten.
Was bleibt 10 Jahre später?
Etwa 55 Prozent der Flüchtlinge, die 2015 nach Deutschland kamen, sind mittlerweile erwerbstätig. Die Integration in den Arbeitsmarkt scheint zu funktionieren und es ist zu erwarten, dass sich der Prozentsatz in den nächsten Jahren noch einmal deutlich erhöhen wird. Der Ökonom Jan Kluge wies bereits 2015 in einer Publikation des ifo Institutes auf die Wichtigkeit der Integration hin. Die erhebliche Zuwanderung wirke dem Bevölkerungsrückgang in Deutschland entgegen, doch die positiven Effekte auf den Wirtschaftsstandort ließen sich erst durch eine umfassende Integration in den Arbeitsmarkt erzielen. Die Zuwanderung und die Erfolge und Probleme der Integration werden auch in den kommenden Jahren für leidenschaftliche politische Diskussionen sorgen, auch in den anderen Ländern der EU. Manche Beobachter sehen in den Ereignissen von 2015 die Grundlage für die wachsenden Erfolge rechtspopulistischer Parteien wie etwa der AfD.
Meilenstein
Very shocking! Der Brexit 2016 und seine Folgen
Das Verhältnis der Brit*innen zur Europäischen Union war immer distanziert. Am Brexit-Referendum von 2016 beteiligten sich 72,2% der Wahlberechtigten – 51,9% stimmten für den Austritt aus der EU. Damit war das Vereinigte Königreich das erste Mitglied, das die Gemeinschaft verlassen hat. Mit immensen wirtschaftlichen Folgen, wie das ifo Institut berechnet hat. Nach intensiven einjährigen Verhandlungen trat 2021 ein neues Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich in Kraft.
Wie konnte es dazu kommen?
Der Brexit versprach bessere Kontrolle der Zuwanderung in das Vereinigte Königreich, keine Zahlungen mehr an die EU und volle Souveränität. Dagegen standen Warnungen, durch den Ausstieg aus dem Binnenmarkt sei die ökonomische Stabilität der Insel gefährdet. Politiker*innen unterschiedlicher Lager diskutierten heftig – im Parlament, in Zeitungen, Talkshows und Sozialen Medien. Deutliche Anzeichen für eine Brexit-Stimmung waren schon 2014 zu erkennen: 2013 hatte Premierminister David Cameron angekündigt, die Verträge zwischen Großbritannien und der Europäischen Union zu reformieren. Nach dem Wahlsieg der Konservativen Partei 2015 unter Cameron wurde das Brexit-Referendum für das Jahr 2016 angesetzt. Außerdem konnte der Premierminister in der EU weitere Sonderreglungen für Großbritannien durchsetzen – für den Fall, dass sich das Volk gegen einen Brexit aussprechen würde.
Ein gespaltenes Königreich
Das Ergebnis des Brexit-Referendums machte klar, welch tiefe Gräben das Vereinigte Königreich durchzogen. In England und Wales votierte eine Mehrheit für den Brexit, in Nordirland und Schottland stimmte der Großteil der Bevölkerung für den Verbleib in der EU, ebenso die Wahlberechtigten in London. Doch die Trennlinien machten sich nicht nur regional bemerkbar, sondern auch zwischen den Generationen. Unter den jungen Brit*innen stimmten deutlich mehr für den Verbleib in der Europäischen Gemeinschaft als unter den älteren Landsleuten. Im November 2018 vereinbarte Theresa May, die Nachfolgerin David Camerons, mit der EU einen vorläufigen Austrittsvertrag. Der endgültige Ausstieg war für den 29. März 2019 geplant, musste aber auf den 12. April und schließlich auf den 31. Oktober verschoben werden. Zu komplex und langwierig erwies sich die Ausarbeitung der Details zwischen den Verhandlungspartnern.
Ein zähes Ende
Von der Öffentlichkeit und ihrer eigenen Partei heftig kritisiert, verkündete Theresa May im Sommer 2019 ihren Rücktritt. Ihr Nachfolger Boris Johnson stimmte seine Landsleute auf einen harten Brexit ohne vertragliche Vereinbarungen ein. Nachdem aber das britische Parlament ein Gesetz gegen einen ungeregelten Brexit auf den Weg gebracht hatte, verschob die EU den Austritt noch einmal auf den 31. Januar 2020 – wo er dann wirklich stattfand. Noch immer fehlte ein Handelsabkommen, verbunden mit einer Freihandelsvereinbarung. Es konnte nach langwierigen Verhandlungen erst am 1. Januar 2021 in Kraft treten. Nun werden im bilateralen Handel zwar weiterhin keine Zölle fällig, bei Exporten aus dem Vereinigten Königreich müssen aber umfangreiche Zollformalitäten beachtet werden. Weitere Kooperationen wurden geschlossen, etwa auf den Feldern Kriminalitätsbekämpfung, Klimapolitik und Energieversorgung. Die Zusammenarbeit wurde damit auf wichtigen Gebieten fortgesetzt und Großbritannien nicht vollständig von der EU getrennt.
Wirtschaftliche Folgen des Brexits
Aktuell sind – wie von den Gegnern des Brexit prognostiziert – die negativen wirtschaftlichen Folgen für die EU-Länder weniger schwerwiegend als für Großbritannien. Immerhin ist die Insel von Platz drei der wichtigsten Handelspartner Deutschlands im Jahr 2015 auf Platz zehn im Jahr 2021 abgestiegen. 2022 aktualisierte das ifo Institut seine erste Studie zu den Folgewirkungen des Brexit aus dem Jahr 2017. Die wichtigsten Erkenntnisse:
Seit dem Brexit-Referendum vom 23. Juni 2016 wertete das britische Pfund um etwa 13% ab. Die deutschen Güterexporte in das Vereinigte Königreich sind seit 2016 nominell von 90 Milliarden Euro auf 84 Milliarden zurückgegangen. In vielen Branchen hat sich der Anteil des Vereinigten Königreichs am deutschen Import und Export deutlich verringert, besonders in den Sektoren Chemie, Fahrzeuge, Papier und Mineralprodukte. Die EU-Mitgliedstaaten sind unterschiedlich betroffen. Die wirtschaftliche Größe, aber auch die geographische und kulturelle Nähe spielen eine wichtige Rolle – je näher ein Land dem Vereinigten Königreich steht, desto höher fallen dessen Verluste aus.
Auch wenn die EU insgesamt und Deutschland im Besonderen durch den Brexit geringere wirtschaftliche Einbußen zu verzeichnen haben als Großbritannien selbst, die Folgen des Brexit sind gravierend. Und beide Seiten leiden unter der Ungewissheit über die künftige Entwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen.
Meilenstein
Vom Weißen Haus ins ifo Institut: David Bradford
„Mit unermüdlichem Einsatz und Enthusiasmus setzte sich David Bradford für das ifo Institut ein. Sein unparteiisches Urteil, seine Weisheit und seine Freundschaft waren eine große Hilfe." So schrieb das ifo Institut in seinem Nachruf über den amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler und Politikberater David Bradford, der einer der bedeutendsten Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats des ifo Instituts war. Bradford verstarb 2005 mit nur 66 Jahren. Zum Gedenken wurde 2005 das Hauptgebäude des ifo Instituts in München zum „David-Bradford-Haus" umbenannt.
Akademische und politische Karriere
Von 1956 bis 1960 studierte David Bradford am Amherst College in Massachusetts, seine weiteren akademischen Stationen waren das MIT (Massachusetts Institute of Technology) und die Harvard University. 1966 promovierte er in Stanford und unterrichtete später als „Professor of Economics and Public Affairs“ in Princeton. Bradford galt als einer der führenden Experten der US-Steuerpolitik. Von 1975 bis 1976 bekleidete er das Amt des Deputy Assistant Secretary for Tax Policy. In den 1980er Jahren war er maßgeblich an der großen Steuerreform unter Präsident Ronald Reagan beteiligt, von 1991 bis 1993 persönlicher Berater von Präsident George H. W. Bush. Seit 1993 lehrte er als Professor an der Law School der New York University.
Seine Publikationen über die Konsumbesteuerung hatten nachhaltigen Einfluss auf die steuerpolitische Debatte in den USA. Weitere Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit waren die Preisfestlegung für öffentliche Güter, die Stadt- und Regionalplanung sowie die Umweltpolitik. Er gehörte zu den Befürwortern des Kyoto-Protokolls von 2005, dem ersten weltweit völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zur Eindämmung des Klimawandels.
Ein steuerpolitischer Quantensprung
Bradfords Buch „Blueprints for Basic Tax Reform” von 1977 gilt als konzeptioneller Wegbereiter für Ronald Regans große Einkommensteuerreform im Jahr 1986. Vor Reagans Amtsantritt betrug der Spitzensteuersatz rund 70 %, die massive Steuerreform senkte ihn auf 28 % – damals der niedrigste Satz unter allen Industrienationen. In seinem 1986 veröffentlichten Buch „Untangling the Income Tax” lieferte Bradford einen umfassenden Überblick über die unterschiedlichen Varianten der Einkommensteuer. Bradford galt als Verfechter einer Konsumsteuer, bei der das persönliche Einkommen vor allem dann besteuert wird, wenn es für den Konsum von Waren oder Dienstleistungen ausgegeben wird.
Der Erfinder der „X-Tax"
Sein steuerpolitisches Konzept präsentierte Bradford unter dem Namen X-Tax. Es setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: einer Unternehmenssteuer und einer Steuer auf Einkünfte aus unselbständiger Arbeit. Bei der Besteuerung der Unternehmen wollte Bradford Investitions- und Personalkosten vom zu versteuernden Gewinn abziehen, um Anreize für Innovation und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Einkommensteuer wollte er mit einem progressiven Steuersatz auf Grundlage der Arbeitseinkünfte abzüglich privater Ersparnisse und Investitionen berechnen, um privaten Haushalten die langfristige Planung größerer Ausgaben zu erleichtern. In diesem Sinne sollten auch Gewinne aus Finanztransaktionen nicht besteuert werden. Von der Kombination der beiden Elemente seiner X-Tax versprach sich Bradford ein einfacheres und gerechteres Steuersystem.
Begleiter der ifo-Neuausrichtung
Nach Beginn der Amtszeit des ifo Präsidenten Hans-Werner Sinn am 1. Februar 1999 und nach einer Zeit, in der die Zukunft des ifo Instituts unsicher war, erfolgte besonders im Hinblick auf dessen wissenschaftliche Ausrichtung eine komplette Neuorientierung. Der bisherige Wissenschaftliche Beirat des ifo Instituts trat im Dezember 1999 zurück, und es gelang Hans-Werner Sinn zwölf neue Kollegen zu gewinnen. Es waren ausschließlich international renommierte Ökonomen – darunter mit Robert Solow vom Massachusetts Institute of Technology ein Nobel-Preisträger und David Bradford von der Princeton University.
Nachdem der Verwaltungsrat des ifo Instituts in seiner Sitzung am 12. Mai 2000 beschloss, sämtliche zwölf vorgeschlagenen Wissenschaftler in den Wissenschaftlichen Beirat des ifo Instituts zu bestellen, trafen sich diese am 14. September 2000 zur konstituierenden Sitzung und wählten David Bradford als Vorsitzenden. In den folgenden Jahren trugen die inhaltlichen Anregungen des Wissenschaftlichen Beirats unter dem Vorsitz von David Bradford wesentlich zum Aufstieg des ifo Instituts zu einem der international führenden Wirtschaftsforschungsinstitute bei.
Menschen
Vortrag: 75 Jahre am Puls der Wirtschaftspolitik
Albrecht Ritschl, Professor für Wirtschaftsgeschichte an der London School of Economics hielt bei der 75-Jahr-Feier des ifo Instituts einen Vortrag in der Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er stellt die zuverlässigen Prognosen des Instituts in den Mittelpunkt, deren Methodik bis in die 20er Jahre zurückreicht. Nach seiner Gründung bot das Institut wirtschaftliche Dienstleistungen und Beratung, bevor es in den 1950er- und 60er-Jahren führend in der empirischen Wirtschaftsforschung wurde. Ab den 1960er-Jahren waren Budgetkrisen und der Weggang wichtiger Forscher verantwortlich für die wachsende Abhängigkeit von öffentlichen Aufträgen. Unter dem Präsidenten Karl-Maria Hettlage, der zuvor im Finanzministerium tätig war, erholte sich das ifo Institut bis 1976 zwar finanziell, doch die enge Verstrickung Hettlages mit dem NS-Regime blieb lange unbeachtet.
Ende der 1990er-Jahren begann unter Hans-Werner Sinn eine Neuausrichtung, die das Institut akademisch stärkte. Heute unter der Leitung von Clemens Fuest ist das Institut einer der wichtigsten Akteure in der deutschen und internationalen Wirtschaftsforschung. Trotz seiner Erfolge, so Ritschl abschließend, bleibt die Frage, wie sich das Institut in Zukunft positionieren soll – ob es sich stärker auf den akademischen Bereich konzentrieren oder auch seine nicht-akademischen Aktivitäten, wie die wirtschaftliche Beratung, weiter ausbauen sollte. Einen Aufsatz Ritschls zum Thema lesen Sie auch im ifo Schnelldienst.
Sehen Sie hier Albrecht Ritschls kompletten Vortrag:
Events
Worüber schweigt Clemens Fuest lieber?
Geboren 23. August 1968 in Münster
Beruf Professor für Volkswirtschaftslehre, Präsident des ifo Instituts
Ausbildung Studium der Volkswirtschaftslehre
Status Index ist gleich Saldo im Betriebsmonat + 200 geteilt durch Durchschnittlicher Saldo im Basisjahr + 200 mal 100
Dass Clemens Fuest Interviews gibt, ist lang keine Besonderheit mehr. Über die Jahre ist aus ihm mit Fernsehauftritten in Talkshows, den Nachrichten, oder Pressestatements ein regelrechter Medienprofi geworden. Am 11. November 2021 erschien in der Süddeutschen Zeitung (SZ) aber ein Beitrag, der auch für ihn Neuland gewesen sein dürfte: Ein Interview, ganz ohne Worte, fotografiert von Regina Recht. Nur mit Gestik, Mimik, und vollem Körpereinsatz gab Fuest seine Einschätzungen ab: zu den Themen, die damals bewegten, ganz im Zeichen der Corona-Pandemie und der letzten Bundestagswahl, und zu etwas privateren Themen.
Als Präsident des ifo Instituts ist es die Aufgabe von Clemens Fuest, Prognosen zu stellen, genauer gesagt: möglichst verlässliche Vorhersagen darüber zu treffen, ob die Wirtschaft wächst oder schwächelt. Gibt er Interviews, und das tat er während der Corona-Pandemie ziemlich oft, trägt er einen dunklen Anzug und verwendet Wörter wie „Flaschenhals-Rezession“ und „Beschaffungsprobleme.“ Kurz: Clemens Fuest ist Pragmatiker. Am liebsten rechnet er. Und zwar ungestört und lange. So lange, bis es eine therapeutische Wirkung entfaltet. „Erwarten Sie nicht zu viel“ , warnt er dann auch zu Beginn der Fotoaufnahmen, „ich bin kein Schauspieler“, um anschließend – sehen Sie selbst – über sich hinauszuwachsen. Clemens Fuest und sein Team stellen rund 9 000 deutschen Unternehmen regelmäßig zwanzig Fragen: Wie läuft’s? Wie ist die Nachfragesituation? Was erwartet ihr in den kommenden Monaten? Daraus ergibt sich der ifo Geschäftsklimaindex. Im Oktober lag er bei 97,7 – der vierte Rückgang in Folge. Übersetzt: Es könnte besser laufen. Wird es nächstes Jahr auch, glaubt Fuest.
Zur Erstveröffentlichung des Interviews in der SZ bitte hier entlang: Zu Süddeutsche Zeitung.
Menschen
„Eine volle 1 in Statistik!“ – Hildegard Harlander
In seinem Empfehlungsschreiben vom November 1953 wies Oskar Anderson auf die ausgezeichneten Noten hin, mit denen die damals bereits 43-jährige Hildegard Harlander ihr Volkswirtschaftsstudium abgeschlossen hatte. Auch Adolf Weber empfahl sie als wissenschaftliche Assistentin. Ihre Bewerbung hatte Erfolg. Von 1954 bis zu ihrer Pensionierung 1975 spielte sie am ifo Institut eine wichtige Rolle – auch wenn ihr eine klassische Karriere verwehrt blieb.
Auf Umwegen zum ifo Institut
Am 9. November 1910 wurde Hildegard Harlander in Heilbronn geboren. Nach dem Abschluss der Mädchenrealschule folge eine Ausbildung zur Buchhändlerin. Anschließend arbeitete sie als Dolmetscherin. 1933 entschloss sie sich, an der Universität München Volkswirtschaft zu studieren. Nach ihrer Verlobung 1935 brach sie das Studium ab. 1939 und 1946 kamen ihre beiden Söhne zur Welt. Im Rückblick betrachtete sie den Abbruch des Studiums als Fehler und schrieb: „Im Dritten Reich wurden die Frauen aus den Berufen hinaus gedrängt.“ Ihre Ehe wurde 1951 geschieden. Als alleinerziehende Mutter, die bald wieder einen Beruf aufnehmen musste, war Hildegard Harlander in den frühen Nachkriegsjahren eine große Ausnahme.
Sommer im Sonnenhäusl
Hildegard Harlander entschloss sich, ihr Studium wieder aufzunehmen. Im Mai 1952 kehrte sie an die Universität zurück, absolvierte bis Oktober 1953 die noch fehlenden Seminare und bestand im gleichen Jahr das Examen. Zur Finanzierung des Studiums und zur Aufbesserung der Haushaltskasse kam sie auf eine ungewöhnliche Idee. Ihre ausgedehnten Wandertouren in den „Loferer Steinbergen“ in Österreich inspirierten sie zu zwei Kinderbüchern: „Bei uns im Sonnenhäusl“ und „Sommer im Sonnenhäusl“, die 1950/51 im renommierten Franz Schneider Verlag erschienen und wiederholt neu aufgelegt wurden.
Von München nach Ostafrika – eine weibliche Karriere am ifo
Hildegard Harlander wurde vom ifo Institut am 1. Januar 1954 als Assistentin von Hans Langelütke angestellt und fand sich als eine der wenigen Frauen in einem von Männern geprägten Wissenschaftsbetrieb wieder. Sie nahm an wichtigen Tagungen und Treffen teil und verfasste als Schriftführerin Berichte und Protokolle. Im Laufe der Zeit erwarb sie sich große Kenntnisse in allen Forschungsbereichen des Instituts. Als 1961 die Fritz Thyssen Stiftung die Finanzierung eines mehrjährigen Projekts zur Erforschung der wirtschaftlichen Lage in Ostafrika und der wissenschaftlichen Grundlagen einer sachgerechten Entwicklungspolitik zusagte, unternahm Hildegard Harlander mit Hans Langelütke und zwei Vorstandskollegen eine erste Reise dorthin. Hier fand sie ein Aufgabengebiet, das ideal zu ihren Interessen passte. Ab Juli 1965 konnte sie die Hälfte ihrer Arbeitszeit der von Wilhelm Marquardt geleiteten „Afrika-Studienstelle“ am ifo Institut widmen und erforschte mit großem Engagement die Rolle der Frau in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Ostafrikas. Zwei Monate lang besuchte sie 1966 die wichtigen Forschungsinstitute des Kontinents und veröffentlichte 1971 gemeinsam mit ihrer Kollegin Dorothea Metzger eine Untersuchung mit sieben Fallstudien zu afrikanischen Entwicklungsbanken.
Umweltexpertin der ersten Stunde
„Probleme des Umweltschutzes“ heißt eine interne Studie des ifo Instituts, die von Hildegard Harlander im April 1971 verfasst wurde. Sie präsentierte ihren Kollegen Einblicke in den wissenschaftlichen und politischen Stand der einschlägigen Diskussionen, referierte aus internationaler Perspektive über zentrale Themen wie Umweltverschmutzung und Energiewirtschaft und lieferte am Ende einen Überblick über die wichtigste Literatur. Die systematische Aufbereitung und sprachliche Prägnanz dieser Studie machen Harlanders wissenschaftliche Qualitäten deutlich. Vor allem aber hatte sie den Mut, dieses drängende Thema zur Sprache zu bringen, das damals von breiten Kreisen der Wissenschaft – auch am ifo Institut – noch nicht so richtig ernst genommen wurde. Sie dagegen erkannte schon früh, vor welche Herausforderungen das Thema Umwelt die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft in Zukunft stellen sollte.
„Keine dolce-vita-Organisation“ – der Club of Rome
Ein knappes Jahr später berichtete sie im März 1972 über die eben vom Club of Rome präsentierte Studie „Die Grenzen des Wachstums“, ein Gründungsdokument der Umweltbewegung. In ihrem Fazit argumentiert sie gegen die aus der Studie abgeleitete Forderung, nur eine sofortige Abkehr vom Wachstumsprinzip könne die Welt noch retten. Dagegen stellt sie eine pragmatische Haltung: Warum nicht mit kurz- und mittelfristigen Entscheidungen auf die in der Studie dargelegten langfristigen Perspektiven reagieren und so Zeit gewinnen, um mit neuen Modellen „sinnvolle Überlebenschancen und die Möglichkeit ihrer Verwirklichung aufzeigen?“
Im Februar 1973 fasste Harlander die ungewöhnlich breite Resonanz auf die Studie des Club of Rome zusammen. Dabei interessiert sie, „warum ausgerechnet viele Wirtschaftswissenschaftler so ungewöhnlich allergisch und aggressiv reagieren.“ Sie vermutet die Angst vor neuen wissenschaftlichen Horizonten: „Die Wirtschaftsforschung betreibt mit so viel Aufwand kurzfristige (Konjunktur-) Analyse und -Prognose und vernachlässigt langfristige Perspektiven offensichtlich.“ Hier könnten die Ökonomen von der Studie profitieren, weil sie ihnen klarmachte, „dass sie ihren Gesichtskreis erweitern müssen, und zwar sachlich auf interdisziplinäre Betrachtung, zeitlich auf längerfristige Vorausschau und räumlich auf weltweite Zusammenhänge.“
Menschen
„Zutreffendes bitte mit 1 bezeichnen!“ – ifo Unternehmensbefragungen
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war auch die deutsche Wirtschaft zusammengebrochen. In Zahlen ließ sich das Maß der Zerstörung erst einmal gar nicht fassen, weil keine aktuellen statischen Erhebungen zur Verfügung standen. Für die Planung des Wiederaufbaus jedoch war der rasche Zugriff auf verlässliche Zahlen unverzichtbar.
Von den ersten Befragungen zur ausgefeilten Auswertung
In dieser Lage ergriff Hans Langelütke, von 1955 bis 1965 Präsident des ifo Instituts, die Initiative. Nach der Währungsreform 1948 befragte er noch als Mitarbeiter der Informations- und Forschungsstelle für Wirtschaftsbeobachtung am Bayerischen Statistischen Landesamt Chefs von Industrieunternehmen nach ihrer Beurteilung der Lage.
Nach der Gründung des ifo Instituts wurde diese Form der Befragung übernommen und weiterentwickelt. Gefragt wurde ganz gezielt nach der Einschätzung der Entwicklung des eigenen Unternehmens und hier nicht nach konkreten Unternehmensdaten, sondern nach einer qualitativen Beurteilung. Die Bearbeitungszeit hielt sich so in Grenzen und einer allgemeinen Abneigung gegen aufwendige Fragebögen in der Nachkriegszeit wurde entgegengewirkt. Im Januar 1950 erschien der erste „Konjunkturspiegel der westdeutschen Wirtschaft“, der die Einzelergebnisse der Befragungen in einer farbig-synoptischen Übersicht zusammenstellte. Die Unternehmensumfragen waren in ihrer Form und der Schnelligkeit, mit der sie Ergebnisse lieferten, bei ihrem Entstehen eine wirkliche Innovation – und bis heute hat ihre Konzeption grundsätzlich Bestand.
Von der Unternehmensbefragung zum Geschäftsklima
Jede ifo Unternehmensumfrage verfolgt zwei Ziele: Sie informiert über aktuelle konjunkturelle Bewegungen und liefert Daten für die Konjunkturprognosen des Instituts. In den 1960er Jahren wurden die Aussagen zur derzeitigen und zukünftigen Geschäftslage erstmals zu einem Gesamtindikator kombiniert und 1971 als „Geschäftsklima Verarbeitende Industrie“ im ifo Schnelldienst veröffentlicht – der Startschuss für den in Deutschland meistbeachteten konjunkturellen Frühindikator, den ifo Geschäftsklimaindex.
Informationsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit
Die Verantwortlichen in den Unternehmen begriffen schnell, dass sie als Teilnehmer selbst von den Analysen und Prognosen der Umfrageergebnisse profitierten. Diese „Informationsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit“ war ein Wachstumsgarant für den ifo Konjunkturtest. In den ersten zehn Befragungsjahren stieg die Zahl der beantworteten Fragebögen rasant von anfangs etwa 100 auf 6.327 Rückläufe. 1949 wurden nur Unternehmen der Industrie befragt, damals: das „Verarbeitende Gewerbe“, 1950 kam der Einzelhandel dazu, 1951 der Großhandel, zwischen 1956 und 1976 Unternehmen des Baugewerbes, der Energie- und Wasserversorgung. Und weil diese Bereiche immer größere Bedeutung gewannen, gab es 1999 erste Konjunkturumfragen in der Versicherungswirtschaft und 2005 erschienen die ersten Veröffentlichungen von Umfrageergebnissen im Dienstleistungssektor.
Ein weltweites Erfolgsmodell
Die Erstellung und Auswertung der Fragebögen wurde am ifo Institut schon bald nach deren Einführung wissenschaftlich begleitet, methodisch hinterfragt und weiterentwickelt. Die Qualität seiner Umfragen sicherte dem ifo Institut schnell einen hohen Bekanntheitsgrad und weltweit große Anerkennung. Anfang der 1980er Jahre weitete das ifo Institut seine Umfrageaktivitäten über die Grenzen Deutschlands hinaus aus. Zunächst noch unter dem Namen Economic Survey International (ESI), später dann als World Economic Survey (WES) wurden bis 2019 vierteljährlich Befragungen von Wirtschaftsexperten in über 100 Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern durchgeführt.
So entwickelte sich aus dem Gespräch mit Unternehmern schließlich eines der Alleinstellungsmerkmale des ifo Instituts. An den periodischen Veröffentlichungen der Auswertungsergebnisse der ifo Konjunktur- und Investitionsumfragen sind heute nicht nur Wirtschaftsfachleute, sondern alle Medien und die breite Öffentlichkeit interessiert – eine zündende Idee, die seit 75 Jahren das besondere Profil des ifo Instituts ausmacht.